Rechtsstaat und Demokratie im notwendigen Ausnahmemodus

 

Corona-Stimmung im Land aus persönlicher Sicht

Seit nun fast zwei Wochen hat sich über Österreich eine noch nie da gewesene merkwürdige Decke gelegt. In meiner Gemeinde ist es den ganzen Tag gespenstisch ruhig. Nur vereinzelt sind Menschen oder Autos auf den Straßen; mit dem Rad traut sich ohnehin kaum mehr jemand zu fahren. In allen Städten und Dörfern Tirols dürfte es nicht anders sein. Ich halte mich an die Quarantäne-Bestimmung, nicht das Gemeindegebiet zu verlassen und nur allein in die frische Luft zu gehen.[1] Physisch-soziale Kontakte vermeide ich so gut wie ganz. Ich verlasse das Haus nur frühmorgens für Spaziergänge in meiner unmittelbaren Umgebung, wenn ich keinen Menschen treffe und wo ich wirklich menschenseelenallein bin. Spaziergänge unterliegen ja einem gewissen Rechtfertigungsdruck im Quarantäne-Land-Tirol. Dennoch heißt es: Spaziergänge in frischer Luft erlaubt. Da treffe ich keine Menschen und ein Social-Distancing und ein Zweimeterabstand fallen mir dabei nicht schwer. Ich werde auch nicht über eine Wurzel stolpern und ein Ast wird mir nicht auf den Kopf fallen. Rettungskräfte müssen wohl nicht wegen mir ausrücken. Im Gegenteil: Frischluft wird mir helfen, gesund zu bleiben und die sprichwörtliche Decke wird mir auch nicht auf den Kopf fallen. Die Gämsen kommen mir schon sehr nahe, weil sie mich immer besser kennen. Sie wittern neue Lebensräume, weil die Zweibeiner derzeit nur mehr selten den Weg in die Schutzwälder finden. Einkaufen brauche ich für meine Familie ohnehin kaum. Vor allem in den Supermärkten, so wird mir berichtet, wäre ein Abstandhalten nicht leicht. Die Brotfiliale in unmittelbarer Nähe hat strenge Vorschriften. Ein Eintreten ist nur einzeln erlaubt. Vor dem Geschäft gilt es einen Zweimeterabstand einzuhalten. Das steht auf den schockgelben Warntafeln, die im ganzen Gemeindegebiet angebracht worden sind. Untertags bin ich als Lehrer mit E-Learning beschäftigt und schreibe täglich Dutzende von E-Mails an meine Schülerinnen und Schüler, die mir spannende Antworten zurückschreiben. Immer auch verbunden damit sind meine Hinweise: Abstand halten! Oder anders gewendet: Sich mit Vernunft an die Vorschriften halten und den Sinn dieser Epidemiegesetze.

Wie eigenverantwortlich darf ich noch sein, frage ich mich ständig. „Stay at home“, heißt es allüberall, und selbst fühle ich mich schon kriminell, wenn ich einen Spaziergang mache. Hausverstand und Vernunft gibt es auch noch, darf ich das noch denken? Hat mich die Person schon vorwurfsvoll angeblickt, die auf der anderen Straßenseite geht, so als hätte ich irgendeinen Aussatz? Ja, und darf ich noch kritisch denken über so manche Maßnahme, die nun per Notverordnungen und Notmaßnahmen verordnet wird?

Ich möchte das Krisenmanagement der Regierenden nicht madig machen. Im Gegenteil. Ich bin sozial gesinnt und unterstütze den nationalen Schulterschluss, der notwendig ist, um die Zahl der Covida-Erkrankten möglichst gering zu halten, um vor allem die Schwachen in unserer Gesellschaft zu schützen, um das Gesundheits- und Krankensystem nicht zu gefährden. Mit Vernunft halte ich mich an die Ausgangsbeschränkungen bzw. Ausgangssperren. Selbst habe ich keine Angst davor, an Covid 19 zu erkranken, doch möchte ich nie selbst als Corinavirus-Träger zur Gefahr für andere werden, die ein schwächeres Immunsystem haben. Händewaschen muss ich mir nicht öfters als sonst, weil ich so gut wie nie Türklinken angreifen muss – es sei denn die Tür zum Bauernladele. Glücklich, wer in diesen Zeiten auf dem Land lebt und zu dessen Gemeindegebiet Bergwälder zählen, die sich für Spaziergänge eignen.

Vorübergehender Shutdown demokratischer Errungenschaften

Zugleich freue ich mich schon auf den Tag, an dem wieder die gewohnten rechtsstaatlichen Prinzipien und Regelungen gelten werden. Dann werden Gesetze nicht durch eine Notverordnung erlassen, sondern können den gewohnten Instanzenweg durch Begutachtungsphasen und über eine parlamentarische Abstimmung beschlossen werden. Dann wird es wieder Pressekonferenzen geben, wo auch kritische Fragen zugelassen sind. Dann wird es eine Opposition geben, die nicht mit jeder Maßnahme der Regierenden einverstanden sein muss. Dann wird es auch eine kritische Zivilgesellschaft geben, die eine außerparlamentarische Opposition sein darf.

Der Historiker und ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen Südtirols, Hans Heiss, spricht aus, was gegenwärtig mit Blick auf die demokratische Grundlagen geschieht.[2] Sicherheit rangiere vor Freiheit, die Demokratie werde in eine „Zwangspause“ versetzt, Legislativorgane würden so gut wie stillgelegt, eine Kontrolle der Exekutive – etwa durch die Opposition – sei kaum möglich. Wir nehmen es aufgrund von Corona gegenwärtig in Kauf, dass zentrale Grundprinzipien von Versammlungsfreiheit, Bewegungs- und Reisefreiheit und das Recht auf Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit immer weiter außer Kraft gesetzt wurden. Im Schatten der Corona-Krise geht eine Diskussion über permanente Verletzungen des Asylrechtes ohnehin fast völlig unter. Viele Freiheitseinschränkungen mögen notwendig sein angesichts der aktuellen Gefahren und zum Schutz der Bevölkerung, vor allem der Schwächsten. Ich möchte nochmals betonen, dass ich die entsprechenden Maßnahmen der Regierenden nicht kritisieren oder konterkarieren möchte. Im Gegenteil. Nie aber dürfen wir uns daran gewöhnen, dass diese Rechte nicht wieder in vollem Umfang wiederhergestellt werden.

Jetzt ist aller Ortens die Stunde der starken Männer, sei es Viktor Orban in Ungarn, Premier Conte in Italien, Macron in Frankreich und eben auch Kurz in Österreich. Das betrifft auch die Landesebene. Wo ist neben Landeshauptmann Platter und Gesundheitslandesrat Tilg noch Vizelandeshauptfrau Felipe zu hören?

Mobilmachung der Miliz und Militarisierung

Problematisch erscheint mir jedenfalls eine Form von Militarisierung, die wir in verschiedenen Ländern Europas – und auch in Österreich – im Zusammenhang mit der Bewältigung der Corona-Krise unschwer erkennen könnten. Am 26. März 2020 wurde in österreichischen Tageszeitungen folgendes Inserat vom Verteidigungsministerium abgedruckt. Ein Soldat und eine Soldatin stehen in einem Kornfeld, um ihre Arme die rot-weiß-rote Schleife, die Hände sind abschussbereit am Abzug. Darüber steht die Schrift: „CORONA-KRISE: JETZT HILFT DIE MILIZ“ und „WIR SCHÜTZEN ÖSTERREICH“

Welche Botschaft steckt dahinter? Das Bild gibt an und für sich keinen Sinn mit Bezug auf Corona und zeigt doch den eigentlichen Sinn auf, warum ab Mitte April rund 10 Prozent aller Milizsoldaten in Österreich einen Einberufungsbefehl erhalten werden. Sie werden hoffentlich nicht mit Maschinengewehr in einem Kornfeld stehen, um renitente Bürgerinnen und Bürger aufzuspüren, die es wagen könnten, eine Ausgangsbeschränkung so zu interpretieren, dass sie alleine eine Runde laufen gehen. Das Bild suggeriert jedoch, was wohl das Ziel in einem starken Staat ist. Das Militär übernimmt sicherheitspolitische Aufgaben im Inneren, für das eigentlich das Militär zunächst nicht zuständig ist. Für sicherheitspolitische Aufgaben ist die Polizei gefragt. Vielleicht soll aber ganz sublim und populistisch bei diesem Bild auch mitschwingen, dass das Militär für den Grenzschutz aktiv ist – sprich: um Österreich vor den Flüchtlingen zu „schützen“, die damit automatisch zur Gefahr und zum Feindbild stilisiert werden.

Es ist zu hoffen, dass nach der Corona-Krise in diesem Land wieder die Trennung von militärischer Verteidigungspolitik einerseits und polizeilicher Innenpolitik andererseits erfolgen wird, dass wir uns nie daran gewöhnen, von Soldatinnen und Soldaten im eigenen Land kontrolliert zu werden.

Hoffnung auf demokratische Normalisierung

Wenn diese große Krise überstanden sein wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir haben uns schleichend an die ausgesetzten Grundfreiheiten gewöhnt – wie ein Frosch im kochenden Wasser – oder wir werden ganz neu und dankbar jene Grundfreiheiten auskosten, die unsere demokratischen Systeme auszeichneten. Es wird weiterhin für die ganz großen Fragen der Menschheit – allen voran die Klimakrise – ein starkes staatliches Krisenmanagement brauchen, das aber immer auf demokratischer Legitimation aufzubauen ist und ohne Einschränkung grundlegender Freiheitsrechte geschehen kann. Ein wirklich starker Staat baut seine Handlungsfähigkeit nicht auf Kontrollorganen, Polizei und Militär, auf Durchgriffsrechten und Ankündigung von harten Strafen auf, sondern auf mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die bereit sind, ihr Bestes für das Gemeinwohl zu geben.

Klaus Heidegger

[1] „Allein spazieren zu gehen oder allein zu joggen, birgt kein Infektionsrisiko. Für die Psyche ist beides gut. Es gehe darum, keine gefährlichen Sportarten auszuüben, um Unfälle zu vermeiden.“ Infektiologe Günter Weiss, Direktor Innere Medizin, in: Tiroler Tageszeitung, 27.3.2020.

[2] Vgl. dazu das Interview in: https://www.facebook.com/salto.bz/?tn-str=k*F, abgerufen am 27.3.2020.

Kommentare

  1. Deine Bedenken sind vorbehaltlos zu teilen, daneben gibt’s auch positive Folgen: die angenehme Ruhe, weil das neoliberale System abgewürgt wurde, eine Zwangspause macht, die vielleicht ein Nachdenken über Rekordzahlen, Gier, Stress, Umwelt, etc. in Gang setzen kann, damit es nach der Krise nicht so oder noch schlimmer weitergeht.

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