Cowboy auf Rädern oder herbstliche Kühtai-Piller-Kombi mit Rennrad

Es sind zwei Pässe, die liegen zwischen zwei Orten, und könnte beide Orte Heimat nennen. In Innsbruck gestartet kurz vor Mittag. Ein tiefblauer Himmel. Bäume in den Farben des Herbstes, beleuchtet von tiefstehender Sonne. Auf weiten Strecken des Sellraintales entlang der rauschenden Mellach schaffen es ihre Strahlen nicht mehr in die Tiefe des Talgrundes. Umso heller leuchten braun-rötlich-golden die Flanken der Sellrainer Berge; ganz oben wie Zucker auf einem Gugelhupf liegt der Schnee der letzten Tage. Manchmal sehe ich mich wie von außen oder wie von oben von einer Drohne. Jemand, der klettert mit seinem Rennrad die steilen Rampen hinauf – manche bis zu 20 Prozent. In dieser Jahreszeit sind zum Glück kaum mehr Motorradfahrer unterwegs, die mir im Sommer die Strecke vermiesen, weswegen ich sie meist meide. Jemand, der manchmal stehen bleibt, nicht um zu verschnaufen, sondern um zu staunen über die Größe der Berge und das Leuchten der Schneefelder in den Seitentälern. Bald werde ich mich dort wiederfinden im Schnee und mit den Tourenski. Noch aber ist es das Rennrad. Jemand, der so gerne die Schönheit teilen möchte und das Staunen. Knapp unter drei Stunden sind es bis zur Top of the tour auf 2020 Höhenmeter. Kühtai. Der sommerliche Betrieb ist verschwunden. Geistermäßig wirken die Hotels und Restaurants auf der Höhe.  Noch gibt es nicht den winterlichen Rummel. Ich mache Rast an dem Stausee zwischen den getrockneten Kuhfladen auf den herbstlichen Almwiesen. Weit oben wird ein neuer Speicher gebaut. Ein gigantisches Projekt. Und dann die Abfahrt nach Ötz. Reste vom geschmolzenen Schnee liegen in den Serpentinen. Die Kälte stört mich nicht, versinke im Flow des Fahrens mit der Landschaft ringsum, tauche ein in die Wälder des Ötztales. Zwischendrin sind Gedanken und Gefühle so stark, dass ich alles vergesse ringsum. Im Talgrund ein Jahrmarkt. Auf der Ötztalstraße ein wilder Verkehr. Bin dann froh wieder am Radweg zu sein. Einsam ist die Strecke am Radweg zwischen Roppen und Imst durch die Schlucht. Und dann weiß ich schon: Über den Piller bis Prutz ist es nicht mehr weit. Ich genieße jeden Meter Höhengewinn, die Berge des Pitztales, halte kurz am Piller Weiher und fahre zwischen Venet und Kaunergrat zum Gachen Blick, schaue hinunter in die Tiefe, wo sich der Inn schlängelt durch das Obere Inntal. Dort oben auf 1600 Metern öffnet sich die ganze Gipfelpracht von Samnaungruppe und Glockturmgruppe und später der Kaunergrat mit seinen mächtigen Gipfeln, auf denen ich zuhauf in meiner Jugend schon stand. Im goldenen Licht der untergehenden Sonne steht mitten auf den steilen Feldern die kleine Michaelskapelle beim Weiler Puschlin und lädt wieder ein zum dankbaren Staunen in der früh sinkenden Sonne. Am Ende der Fahrt sind es fast 2600 Höhenmeter verteilt auf rund 100 Kilometer.