Terraforming und Snowfarming: Zivilisationskritische Überlegungen am Rande und zugleich mittendrin

Heute anders als früher

2022/23 war der erste Winter, in dem ich mir – sabbaticalgeschuldet – das Freizeitticket kaufte. Das orange-hellblau-weiße Plastikding mit Chip darin ist wie eine Eintrittskarte, um zumindest manchmal von einer anderen Seite – jener der Liftbenützenden, die Bergwelt zu erfahren. Mein Öko-Herz schlägt ja nicht für Liftanlagen, präparierte Pisten und Kunstschnee oder gar eine Ballermann-Atmosphäre am Rande von eisigen Pisten, wo ich ständig Angst habe, dass mich einer der außer Kontrolle geratenen Zeitgenossen mit seinen Ultra-Carvingski von hinten abschießt, weil mein Fahrstil doch ganz anders aussieht. Vielleicht würde das dann noch mit GoPro-Helm-Kamera gefilmt und ich wäre unfreiwillig zum Star auf Insta oder Tik-Tok geworden.

Früher, als die Kinder klein waren, hatte ich öfters Lifte benützt, um meine Kleinen in die Welt des Skifahrens einzuführen und ihnen die entsprechenden Grundlagen zu schenken, wobei ich in der allerersten Phase ihrer Skifertigkeiten auch noch selbst am Melanser Hügel oder am Pichl in Gnadenwald Lift sein konnte. Am liebsten hatte ich das nahe Skigebiet am Glungezer. Da musste man nicht weit fahren, es gab noch keinen Kunstschnee und der alte Sessellift hinauf nach Halsmarter, der schon seit ein paar Jahren durch eine moderne Gondelbahn ersetzt wurde, versprach jedes Mal ein prickelndes Gefühl, von dem aus man fast die Fichten links und rechts berühren konnte und wo man mit Spannung immer den Liftbügel öffnete, um rechtzeitig den Absprung zu schaffen.  Die Weiterfahrt mit dem Schlepper – eine Gattung Lift, die fast schon der Vergangenheit angehört – war dann schon eine gute Einschulung in die Kunst des Skifahrens, war doch die Spur hinauf zur Tulfein sehr steil und als Papa mit einem Kleinen hatte ich auch meist den Liftbügel irgendwo im Bereich der Kniekehlen. „Früher“, das ist eine gefährliche Vokabel zugleich, die an jene erinnert, die mit verklärtem Blick ins Gestern blicken und das Heute nur schwer akzeptieren können. Aber doch noch zurück zum noch früheren Früher: Als ich selbst Kind war, konnten wir am nahen Hügel im Heimatort hinauf“bretteln“ und uns so eine Piste machen. Aufwärmen war da vor dem Hinunterfahren nicht mehr notwendig. Heute ist das Klima anthropogen aufgewärmt und lässt die Winter nicht mehr Winter wie früher sein. Skifahren beginnt nun nicht ab 700 sondern 800 Höhenmeter darüber. Nach diesem Winter mit dem Schneemangel wird nun wohl eine Trockenheit drohen, so die Klimaforschung, so der Blick in die Flüsse und auf die Berge, wo eben zu wenig Schnee in den vergangenen Monaten gefallen ist. Statistisch gesehen soll es ein Drittel weniger gewesen sein als im langjährigen Mittel. Jedenfalls weiß ich, warum ich die Aktionen der Letzten Generation unterstütze.

Heute ist es mir möglich, dass ich mit technischer Unterstützung von der Innsbrucker Wohnung in weniger als einer Stunde am Hoadl stehen könnte: Mit Rad zum Finanzamt, von dort mit dem Bus in die Axamer Lizum und von 1560m mit der hochmodernen Hoadl-Bahn in 6 Minuten zum Gipfel auf 2340 m. Eine paar Mal habe ich das diesen Winter auch gemacht. Meist aber wähle ich die Tourenvariante. Da bin ich beim ersten Aufstieg noch meist allein, kann abseits der Piste dann selbst eine Spur durch den verwehten Schnee und manchmal sogar durch frischen Pulver legen. Jetzt im Frühling höre ich keine Liftgeräusche, sondern das Zwitschern der Vögel. In diesem Winter wurde der untere Teil der „Herrenabfahrt“ nie zur Piste umgewandelt. Zuletzt allerdings fuhr eine Pistenraupe darüber und hat den Schnee aufgewühlt und dicke Eisknollen hinterlassen – so als sollte die Aufstiegsvariante mutwillig zerstört werden. Nach ca 500  Höhenmetern komme ich bei der Pleisenhütte in den Pistenbereich. Als Tourengeher fühlt man sich am Rande vom Fröschl-Reich doch etwas deplatziert und fast schuldig, weil die Berge hier doch für etwas anderes hergerichtet bzw. umgestaltet worden sind.

Terraforming und Snowfarming

Der Untergrund der Pisten, die links und rechts vom Hoadl in die Lizum hinunterführen, ist eisgefrorener Kunstschnee. Darüber haben die Pistenraupen in der Nacht die Hunderttausenden Rillen gezogen, die so charakteristisch sind für die Pistenpräparierungen. Bald schon werden die ersten Menschen über die gerippten eisigen Flächen kratzen, in der scheinbar jede Unebenheit weggemacht wurde. Es ist das Werk der Pistenbullies. 13 Tonnen wiegt so eine Pistenraupe und verbraucht 40 Liter Diesel pro Stunde. Gut 200 Liter also pro Raupe und Nachteinsatz. Wenn mindestens 5 dieser Raupen jede Nacht in der Lizum im Einsatz sind – am Stubaier Gletscher sind es 15 – dann sind es 1000 Liter Diesel, die verbrannt werden, einen enormen ökologischen Fußabdruck bedeuten und den Klimawandel befeuern.

Gipfelgedanken

Bei solchen Gedanken fühle ich mich als „Spielverderber“ ertappt. Beim Aufstieg zum Pleisen lässt sich gut das Pistengebiet umgehen und je steiler der Hang, desto lieber ist es mir. Allein sitze ich dann beim Kreuz am Pleisen auf 2236 m, blicke hinunter ins Senderstal und das tiefgrüne Inntal, blicke hinüber zum Bergrestaurant am Hoadl, wo urbane Selbstbedienungsrestaurant-Kultur auf einer Bergkuppe realisiert wurde, und weiter zu den vielen Türmen, Nadeln und Wänden der Kalkkögel, deren Rinnen mich anziehen. Ich fühle mich einsam am Gipfel mit meinen Gedanken, mit dem Pfefferminztee aus der Thermoskanne und den bunt gemischten Nüssen, und lasse eine Träne vom Gipfelwind trocknen, bevor ich durch möglichst unverspurtes und pistenfreies Gelände wieder hinunterfahre, dorthin, wo sich inzwischen der große Parkplatz gefüllt hat. Einer der deutschen Meisterphilosophen, Friedrich Schlegel, prägte einmal den Begriff von der „geordneten Unvernunft“ – noch lange vor dem Bewusstsein der Klimakatastrophe. Zugleich bin ich zufrieden, dass das Skigebiet der Axamer Lizum noch relativ – das heißt im Vergleich zu den großen Skigebieten Tirols oder gar den Gletscherskigebieten mit den massiven Eingriffen in das Ökosystem – angepasst an die Bergwelt geblieben ist. Zum Glück wurden Pläne für eine Skischaukel über das Ruhegebiet Kalkkögel verhindert. Regen hat eingesetzt. Zum Glück.

Klaus Heidegger, 1. 4. 2023

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