Friedens- oder Kriegslogik, Kaiserlicher Kriegswahn oder pazifistische Interventionen

(Vorbemerkung)

Das Katholische und Evangelische Bildungswerk von Bad Ischl luden mich zu einem Vortrag über Frieden und Gewaltverzicht ein. Der Saal im katholischen Pfarrheim im Zentrum von Ischl war gefüllt. Ermutigend, dass sich viele Menschen an einem Abend Zeit nehmen, um sich Gedanken zu machen, wie in dieser kriegerischen Zeit Kriege beendet und Frieden aufgebaut werden könnten. Da nehme ich gerne den weiten Weg von Innsbruck nach Ischl auf mich. Hier die Kurzfassung des vorbereiteten Referates, von dem ich aber situationsbedingt doch immer wieder abgewichen bin.)

1) Hinführend

Heute, der 9. Jänner 2024, ich hörte wie so oft zu Beginn des Tages die BBC-News.  Mehr als die österreichischen Sender berichtet BBC-International auch aus der Sicht der palästinensischen Bevölkerung. Ich hörte von einem neunjährigen Kind im Süden von Gaza, das über und über Splitter von einem Raketeneinschlag im Körper hatte, überall blutete, dessen Eltern von der Bombe zerfetzt wurden. Ich fühlte in mir unendliche Trauer, Wut, spürte die Tränen. Ich hörte in den Morgennachrichten des noch jungen Jahres von weiteren Drohnenangriffen auf ukrainische Städte und einmal mehr rief Selenskyo zum militärischen Gegenangriff auf.

Wie können wir angesichts der Schreckensbilder unserer Zeit nicht verzweifeln? Kriege herrschen zu Beginn des Jahres 2024 nicht nur im Nahen Osten, in der Ukraine, im Sudan. Das Heidelberger Institut für den Frieden listet 216 gewaltsame Konflikte auf dieser Welt auf. Laut Global Peace Index wurden im Jahr 2022 238.000 Menschen bei militärischen Auseinandersetzungen getötet, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. In einem gerade veröffentlichten Buch mit dem Titel „Warum die Welt keinen Frieden findet“ spricht der Politologe und Berater der Deutschen Bundeswehr, Carlo Masala, davon, dass wir uns alle mit der Realität der Kriege abfinden müssten. Es sei eine Illusion, dass Frieden als dauerhafter Zustand irgendwann eintreten könnte. „Wie gewöhnt man sich an den Krieg?“, fragte die Reporterin den Sicherheitsexperten.

Sie sind wohl hier, weil Sie sich nicht an einen Krieg gewöhnen möchten. Ich beginne zunächst mit einem Dank. Die bequeme Couch verlassen, den Zuschauermodus auf Aktivität umschalten, durch die Minusgrade zu gehen, um sich einen Vortrag anzuhören und mitzudiskutieren – das sind schon Schritte einer Friedenskultur. Ihr Hiersein zeigt mir, dass Ihnen die Sache des Friedens nicht egal ist, dass Sie wahrscheinlich sehr betroffen sind von dem kriegerischen Irrsinn in der Welt, vom den nun fast zweijährigen Krieg in der Ukraine, von den Kriegsbildern aus dem Gazastreifen. Ja, Sie suchen nach Antworten – genauso wie ich, suchen nach Menschen und Organisationen, die selbst nach Lösungen suchen.

Die Sache des Friedens ist zu wichtig, als dass wir sie an irgendwelche bestens bezahlten Politiker:innen oder Expert:innen delegieren könnten, die dafür über viele Ressourcen verfügen und hauptberuflich auf diversen politischen Ebenen arbeiten können. Die Sache des Friedens und der Arbeit gegen die Kriege ist die Aufgabe von uns allen, der so genannten Basis, der Menschen, die ihren täglichen Berufen in unterschiedlichsten Bereichen nachgehen. Frieden ist eine zutiefst demokratische Angelegenheit. Das kollektive Gedächtnis von Ihnen hier im Saal als Ischlerinnen und Ischler ist wohl auch geprägt von jenen protestantischen Frauen und Männern, die während der Reformationszeit und in den nachfolgenden Jahrzehnten sich der katholischen Übermacht widerständisch nicht beugten, die sich als ausgebeutete Arbeiterinnen und Arbeiter in den Salzbergwerken organisierten oder die während der Schreckenszeit im Führergau als Kommunistinnen und Kommunisten Widerstand gegen die Nationalsozialisten lebten. Die Suche nach Auswegen aus einer Kriegswelt ist Aufgabe von dir und von mir, von Ihnen und uns. Deswegen sind wir hier. Mein Danke gilt Ihnen. Danke auch für die Einladung und Danke der Pax Christi Pfarrgemeinde Bad Ischl.

2        In der Kulturhauptstadt Europas 2024 anknüpfen

„Heast as nit … wia die Zeit vergeht …“ Ich oute mich an dieser Stelle nicht nur als Pazifst und als jemand, der seit vielen Jahrzehnten auf unterschiedlichen Ebenen in Sachen des Friedens umtriebig ist, sondern auch als Fan von Hubert von Goisern, mit dem ich das Salzkammergut lieber in Verbindung bringe als mit der Habsburger-Geschichte. In seinem Lied „Heast as nit“ benennt er das Phänomen, dass Zeiten vergehen und doch zugleich wiederkommen.

Bad Ischl verknüpfe ich mit einer Kriegsgeschichte, die vergangen ist und doch als Logik in den Kriegsschauplätzen der Gegenwart aktuell ist. 110 Jahre trennen uns von jener Zeit, als Kaiser Franz Joseph von Österreich hier in Bad Ischl die Kriegserklärung unterzeichnete, das „Manifest an die Völker“. Der alternde Kaiser war ein gekränkter Monarch. Heute würden wir von einem gekränkten Narzissten sprechen, der umgeben von einer kriegslüsternen Generalität fast die ganze Welt mit einem Federstrich in die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts schickte.  Der mächtigste Patriarch der K&K-Monarchie hatte in fast sieben Jahren seiner Regentschaft immer schon auf Kriegslogik gesetzt, um jedes Aufbegehren niederzuschlagen. Die Art und Weise, wie er Tausende Ungarn wegen eines Aufstands hinmetzeln ließ, wäre aus heutiger Sicht ein Fall, um wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt zu werden. Wenn ich vorbei am imperialen Postamt und vorbei an der Trinkhalle gehe, dann sehe ich den Souvenirläden die kitschigen Reminiszenzen an Franz und Sisi, gerade so, als könnte man stolz auf diese Geschichte sein. Abertausenden getötete Menschen auf den Schlachtfeldern wie Königgrätz gehen auf das Konto des Habsburger-Monarchen, gehen auf das Konto einer menschenverachtenden Kriegslogik.

Dabei gab es gleichzeitig zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch jene andere Logik, die wir Friedenslogik nennen können, und für die eine Bertha von Suttner steht. Der Ruf der Friedensnobelpreisträgerin war nicht angekommen in der Ischler Kaiservilla. Franz Joseph wollte nichts wissen von „die Waffen nieder!“. Er ignorierte die Warnungen einer Bertha von Suttner und zwängte sich in seine blitzweiße Uniform, auf die keine Blutspritzer kamen.

Aus der Geschichte von damals könnten wir auch heute noch so viel lernen, müssen wir lernen. Die Geschichte des Habsburger-Kaisers und damit auch die Geschichte von Bad Ischl ist wie ein Prisma, aus dem wir unsere Kriegszeit heute sehen können, als Widerstreit zwischen einer Friedens- und einer Kriegslogik.  Auf der einen Seite leben wir in einer Situation, die wie damals durch imperiale Interessen in immer neue Kriege getrieben wird. Die Imperatoren heute tragen Namen wie Putin, Orban, Kim, Trump oder Javier Milei. Auf der anderen Seite gibt es aber auch, nicht weltbestimmend, pazifistische und friedensbewegte Initiativen, für die vor allem Bertha von Suttner steht und ihr Buch „Die Waffen nieder!“ Es sind Stimmen, die uns davor warnen, was geschieht, wenn eine Kriegslogik in Gang gesetzt wird, wenn mit Waffen und Worten aufgerüstet wird. Bertha von Suttner war in einer radikalen Minderheit. Die Politik – das Kaiserhaus – war nicht auf ihrer Seite. Die Generalität war nicht auf ihrer Seite. Die Mehrheit des Klerus war nicht auf ihrer Seite. Und heute – 110 Jahre danach: Jene, die nicht nach Waffen rufen, werden wie damals eine Bertha von Suttner diffamiert, werden beschuldigt, dem Unrecht nicht widerstehen zu wollen. Bertha von Suttner erkannte, wohin Aufrüstung und Militarisierungen führen – direkt in den Krieg. Heute sehen wir in vieler Hinsicht massive Militarisierungsschritte. Bertha von Suttner entwickelte zugleich ein Programm eines anderen Lebens, einer anderen Politik: Die Verbannung der Gewalt aus der Politik und der Versuch, die Politik menschenrechtskonform zu gestalten. Bertha von Suttner forderte eine Kultur des Friedens, die bereits bei der Erziehung beginnt und in die Schulen hineinführt. Friede wird gelernt. Frieden entscheidet sich immer auch daran, wie wir im Kleinen miteinander umgehen, wie achtsam wir reden, ob wir – um es in der Sprache der Gewaltfreien Kommunikation von Rosenberg zu sagen, ob wir wie Wölfe sind oder wie Giraffen. Bertha von Suttner kritisierte die Medien, die zur Kriegsbegeisterung führten. Sie wurde als naiv und dumm bezeichnet und ihr Buch wurde mit Spottgedichten ins Lächerliche gezogen, „die Waffen hoch, das Schwert ist Mannes eigen, wo Männer kämpfen, hat das Weib zu schweigen“.

Kaiser Franz Joseph glaubte im Juni 1914, nur wenige Tage nach dem Tod von Bertha von Suttner, man könne durch einen kleinen Krieg die Sache mit Serbien schnell aus der Welt schaffen. Aus dem kleinen Krieg wurde der erste große Krieg. Der Erste Weltkrieg hat viel gemeinsam heute mit dem Krieg in der Ukraine, nicht nur mit den Kriegsschauplätzen. Kaiser Franz Joseph liebte nicht nur Bad Ischl und den Kindersegen, der auf dieser Stadt liegt, er liebt auch Lemberg, eine seiner Lieblingsstädte. Das Land, das er liebte, wurde durch seine Kriegsentscheidung zum Kriegsfeld. Ganz Galizien wurde zum Schlachtfeld, auf dem eine halbe Million Soldaten der Kaisertruppe getötet wurden im Kampf gegen die russischen Truppen. Galizien liegt seit zwei Jahren im ukrainischen Kampfgebiet. Was Georg Trakl dichtete, der damals in Galizien kämpfte, könnte auch heute gelten. Es ist, als wiederholte sich die Geschichte – und wenn ich, wie oft, am Grab von Trakl in Innsbruck vorbeifahre, und hin und wieder eine Blume an sein Grab lege, denke ich an ihn, an die Kriege von damals und heute. Eines seiner Gedichte möchte ich vortragen, geschrieben in Galizien. Es ist, als wäre es heute geschrieben worden. „Heast es nit …“

„Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.“

Wäre Trakl heute Kriegsreporter, so würde er nicht anders dichten.

3        Friedensbotschaft 2024

Sie sehen auf meiner Präsentation nun ein Bild von Vivian Silver, einer Friedensaktivistin aus Israel. Sie wurde am 7. Oktober 2023 beim Terroranschlag der Hamas im Kibbuz Be‘eri ermordet. Die kanadisch-israelische 74-jährige Frau hat sich ein ganzes Leben für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern eingesetzt. Sie startete Hilfsprogramme für Bewohner:innen des Gazastreifens und half ihnen, in Israel medizinisch behandelt zu werden. Kurz nach dem Gaza­krieg 2014 gründete sie die Friedensbewegung Women Wage Peace mit, die inzwischen mehr als 45.000 Mitglieder hat. Im Kibbuz Be’eri, der ihre Heimat war, lebten viele wie in anderen Kibbuzsiedlungen unweit des Gazastreifens, die zur Friedensbewegung gehören. Der Hamas-Terror hinterließ auch hier viele Tote: Beim Angriff im Oktober auf Be’eri verloren neben Silver mehr als 100 Bewohner:innen ihr Leben. „Rache ist keine Strategie“, so sagte ihr 35-jähriger Sohn Yonatan, sei das Motto von Vivian Silver gewesen. Beim Begräbnis von Vivian Silver nahmen Israelis wie Palästinenser teil. Seite an Seite stand ein Mann mit einer Kefija und eine Soldatin in der Uniform der IDF.

Vor gut einer Woche organisierten wir als Pax Christi in Innsbruck wieder die Kundgebung zum Weltfriedenstag am 1. Jänner. Zum Abschluss der Kundgebung habe ich folgendes Gedicht gesprochen.

„Friede! Friede! Friede!
Rufen unsere Tränen
Rufen unsere Ängste
Rufen wir ganz laut

Friede für heute
Friede für Freunde
Friede für Feinde
Friede für alle und jetzt!

Friede frei von Waffen
Friede frei von Bomben
Friede frei von Hass
So kann Friede leben!

Friede frei von Rache
Friede frei von Helden
Friede frei von Zerstörung
So kann Friede wachsen!

Friede durch Versöhnung
Versöhnung durch Vermittlung
Vermittlung durch Gespräche
So kann Friede werden!

Friede! Friede! Friede!
Rufen wir ganz laut!
Rufen unsere Herzen!
Friede! Waffenstillstand! 2024!“

Die wichtigste Forderung, der wichtigste Ruf heute lautet: Cease fire now! Feuerpause! Waffenstillstand.

4        Kriegslogik oder Friedenslogik

Ich habe bereits von den zwei Logiken gesprochen, zwischen denen die Menschheit sich zu entscheiden hat. Dabei ist eine Kriegslogik nur sekundär logisch. An ihrem Beginn stehen nicht Logik und Vernunft, sondern meist dumpfe Emotionen und Affekte, die in einen kollektiven Wahnsinn führen. Meist stehen am Beginn ein Abbau von demokratischen Errungenschaften und mächtige Männer, die sich als absolutistische Herrscher, als autoritäre Führer und Diktatoren entpuppen. Der Weg in den Krieg geschieht meist schleichend – auch wenn im Rückspiegel gesehen die einzelnen Schritte schon durchschaubar gewesen wären. Sündenbock- und Feindbildpropaganda, ein Denken in Freund-Feind-Schemata zählen zum Mindset einer Kriegslogik.

Zum monströs Bösen kommt die Menschheit zunächst nicht plötzlich, sondern mit vielen kleinen Schritten. Krieg bedeutet unvorstellbares menschliches Leid, physisch und psychisch.

Friedensbewegte Menschen haben in gewaltfreien Aktionen immer wieder gezeigt, wie eine andere Zukunft jenseits von Krieg und Zerstörung machbar wäre. Die Friedensforschung hat ebendies in vielen Büchern und wissenschaftlichen Studien bekräftigt.  Eine Friedenslogik, so beispielsweise Friedrich Glasl, würde immer für eine intensive direkte Kommunikation zwischen den Konfliktparteien eintreten, würde auf Vermittlung durch internationale Foren wie UNO, OSZE oder NGOs wie dem Internationalen Roten Kreuz setzen. Es sind nicht Völker, die Kriege führen, sondern mächtige Männer, die es zu erreichen gilt. In einer Friedenslogik würden auch die Bedürfnisse des Gegners ernst genommen, was einen Raum für Verhandlungen schaffen würde. In solchen Verhandlungen gilt es weiters, Vorschläge zu machen, die für beide Seiten Vorteile bringen und man sollte selbst zu Nachteilen bereit sein, um Friedens- und Versöhnungsschritte zu setzen. Ich selbst konnte in den USA an einem Forschungsprogramm unter der Leitung von Gene Sharp teilnehmen. Er hat das Konzept einer Sozialen Verteidigung bzw. einer Civilian Based Defense entworfen. Es ist erforscht worden, dass ein „strategisch gewaltfreier Konflikt“ wesentlich erfolgreicher ist als bewaffnete Gegenwehr. Rund 200 Methoden der gewaltfreien Intervention haben ihre Bewährungsproben in Tausenden Konflikten längst bestanden. Sie wären geeignete Instrumente, mit denen Menschen und Politiker:innen kriegerische Konflikte heute beenden könnten und auf denen Sicherheit und Frieden aufgebaut werden könnten.

5        Friedensstrategien mit Blick auf den Krieg im Gaza

Der aktuelle Gaza-Krieg geht nun schon ins 4. Monat. Der Gazastreifen ist komplett zerstört. Mehr als zwei Millionen Menschen sind geflohen, weit mehr als 20.000 sind auf palästinensischer Seite getötet worden, Hunderttausende physisch und psychisch verwundet. Kriegslogik. Vernichtung. Rache. Und die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einer atomaren Auseinandersetzung. Laut SIPRI besitzt der israelische Staat 70-80 Atomwaffen.

Die aktuell wichtigste Forderung lautet wie in jedem Krieg: Feuerpause! Waffenstillstand. Dafür bräuchte es eine bindende Resolution von Seiten der Vereinten Nationen. Es ist absolut unakzeptabel, dass sich das offizielle Österreich in den letzten Monaten im Raum der Vereinten Nationen gegen eine solche Waffenstillstandsresolution ausgesprochen hatte. Ein Waffenstillstand – der auch durch Vermittlung Dritter zustanden kommen könnte – würde Raum bieten für neue Friedensverhandlungen, würde aber vor allem die dringend humanitären Maßnahmen ermöglichen, damit Menschen im Gazastreifen heute nicht hungern müssen, damit sie Zugang zu dringenden medizinischen Maßnahmen bekommen und ihr Zuhause wieder aufbauen könnten. Wie die Zukunft aussehen könnte, kann letztlich nur von den Menschen vor Ort entschieden werden – aber auch dafür gibt es Modelle, wie eine Föderation zwischen dem Staat Israel einerseits und unabhängig verwalteten Palästinensergebieten auf der anderen Seite.

6        Kriegs-Anti-Kriegs-Rap gegen den Krieg in der Ukraine

Das grausame Spektrum der Kriegslogik sehen wir seit zwei Jahren im Krieg in der Ukraine. Ich habe diese Logik in das Format eines Text-Raps gebracht, den ich hier vortragen möchte:

„Putin ist wie Hitler
hängt ihn auf
Kriegsverbrecher
noch mehr Waffen
kämpfen mit den Panzern
noch mehr Waffen
kämpfen mit den Fightern
noch mehr Waffen
Napalm her damit

Pazifist Du
Friedensschwurbler
Pazifist Du
Putinfreund
Pazifist Du
Du ein Egoist

Helden braucht das Land
sterben für das Land
siegen für das Land
morden für das Land
kämpfe Mann
Mann gegen Mann
sei ein Held
sei ein Held
Heldenmann

Pazifismus ist naiv
unmoralisch Du
Weichei

Artillerie
Infanterie
siegen müssen wir
koste was es wolle
Krieg
Verteidigungskrieg
Stellungskrieg
Abnützungskrieg
Krieg – verdammt nochmal
Sieg ist unsere Fahne
siegen bis zum Tode

zieh die Uniform an
setz den Stahlhelm auf
gehorche dem Befehl
gürte dich mit Waffen
leg den Finger an den Abzug
erschieß den Feind
leg ihn um
Schlachthaus Bachmuth
Rheinmetall jubelt
schießt schießt schießt
noch mehr Munition

das Klima geht drauf
wir führen Krieg!
Menschen verhungern
auf in den Krieg!
Menschen fliehen
auf in den Krieg!
Fahnen hissen
Waffen schießen

Angriff
Vergeltung!
Offensive
Gegenoffensive!
Kriegsverbrechen
Rache!

atomares Arsenal
ist uns schnauzegal
nukleare Waffen
für die Menschenaffen
Atomkrieg
AUS!
Aus?

Gewalt ist keine Lösung
soll sie auch nicht sein
Hört doch endlich auf
Krieg ist keine Lösung
soll er auch nicht sein
Hört doch endlich auf
Waffen töten
Frieden wollen wir!“

7        Pazifistische Einwürfe gegen den Bellizismus unserer Tage und für eine alternative Friedenspolitik

Im Rap habe ich einen Begriff genannt, den ich bis vor kurzem gar nicht kannte. „Friedensschwurbler“.  Jetzt weiß ich, was ich für manche bin, wenn ich mich gegen die zunehmenden kriegerischen Dynamiken ausspreche, wenn ich besorgt bin angesichts der weltweiten Aufrüstungsspiralen, wenn ich sage: Nein zu jeglichen Kriegsvorbereitungen, Ja zu Verhandlungen; Nein zu Waffenlieferungen, Ja zu Schritten der Deeskalation; Nein zum Krieg, Ja zum Frieden. Als Pazifist gelte ich als Friedensschwurbler.

Die Pazifismuskritik ist nicht neu. Sie durchzieht die Geschichte – die Kriegsgeschichte, müsste ich sagen. Pazifismuskritik durchzieht auch meine eigene Geschichte. Ich bin es gewohnt, mich als Pazifist rechtfertigen zu müssen. Das war schon vor 40 Jahren so, in den 80er Jahren, als ich mich im Rahmen der Kath. Jugend in der Friedensbewegung engagierte und wir uns gegen die NATO-Nachrüstung organisiert hatten. Als wir mit dem Button „Schwerter zu Pflugscharen“ an großen Demonstrationen teilnahmen, wurden wir als „nützliche Idioten“ beschimpft und gefragt, ob wir vom Kreml finanziert würden. Solche Unterstellungen gibt es auch heute. In einer Talkshow wurde Sarah Wagenknecht vorgeworfen, sie würde von Putin bezahlt. Ich war vor 40 Jahren lange in der Beratung für die Zivildienstkommissionen. Wer Pazifist war und den Kriegsdienst verweigern wollte, musste sich rechtfertigen und sein Gewissen unter Beweis stellen. Früher wurde ich selbst von den leitenden Personen meiner Diözese wegen meines Pazifismus verurteilt. Es hieß: Das sei doch unmoralisch, wenn man sein Land nicht mit der Waffe in der Hand verteidigen wolle. Zum Glück hat sich diese kirchliche Position heute verändert.

Beginnen müsste ich wohl wieder mit einer Definition. Was ist Pazifismus? Es ist eine Haltung und politische Entscheidung, auf kriegerische Bedrohungen und Ausschreitungen ohne Gegengewalt zu antworten und sich gewaltfrei für Frieden einzusetzen. Sie hat eine individuelle Seite. Ich kann für mich Pazifist sein. Sie hat aber auch eine kollektive Seite. Ich kann auch für den staatlichen oder zwischenstaatlichen Bereich eine pazifistische Position einnehmen bzw. für kollektive Entscheidungen pazifistische Optionen einfordern. Beide Formen – sowohl individuell wie kollektiv – sind für mich relevant.

Die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik ist für mich in der Frage des Pazifismus nicht zielführend. Das bedeutet: Als Pazifist lasse ich mich nicht reduzieren auf eine gesinnungsethische Position, sondern sage: Pazifistische Ideen sind immer zugleich auch verantwortungsethisch und müssen es sein. Es würde uns auch weiterhelfen, wenn wir nicht von „dem Pazifismus“ sprächen, sondern von pazifistischen Ideen, Inhalten und Strategien. Sie sind immer zugleich pragmatisch.

Durch die kriegerischen Entwicklungen von der Ukraine über den Nahen Osten bis nach Taiwan und Nordkorea ist die Welt zu Beginn des Jahres 2024 so nahe an einem Atomkrieg wie noch nie zuvor. Die „Doomsday Clock“, also „Weltuntergangsuhr“, zeigt keine konkrete Zeit an. Sie ist eine Metapher dafür, wie nahe die Menschheit daran ist, sich selbst auszulöschen. Die Doomsday Clock stammt von der Organisation „Bulletin of the Atomic Scientists“ und wird seit 1947 kontinuierlich neu eingestellt. Auch die Zerstörung des Klimas wird in die Berechnungen mitkalkuliert. Am 24. Januar 2023 wurde die Uhr auf 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt. So nah war die Uhr noch nie vor der globalen Katastrophe. Davor stand sie auf 100 Sekunden vor Mitternacht.

Daher muss die Strategie des Westens gegenüber Kriegen dringend verändert werden. Man braucht eine andere Logik als die militärische Logik. Das Eskalationspotenzial muss herunter.

Der Krieg in der Ukraine befeuert im wahrsten Sinn des Wortes die Kriegsindustrie und lässt die Kriegskassen wie nie zuvor klingen. Auch die EU befindet sich auf politischer wie auf operativer Ebene auf Kriegskurs. Ich möchte an dieser Stelle eine paar Stichworte nennen.

In der EU wurde der sogenannte „Strategische Kompass“ beschlossen. Bis zum Jahr 2025 soll ein Aufrüstungspaket von zusätzlich 200 Milliarden Euro umgesetzt werden. Bereits von 2017 bis 2021 sind die EU-Militärausgaben um 30 Prozent gestiegen. Die EU-Staaten werden bis 2025 bis zu fünf Mal mehr für militärische Verteidigung ausgeben als Russland. Strategischer Kompass bedeutet aber auch: Das Einstimmigkeitsprinzip wird aufgegeben und die Koalition der Willigen wird allein über Krieg- oder Friedenspolitik entscheiden. Auf operativer Ebene bedeutet es den Ausbau eines EU-Hauptquartiers, global agierende EU-Battle-Groups und eine gemeinsame Kriegskassa.

Pazifismus bedeutet ein klares Nein zu solchen Entwicklungen. Ein Nein zu einer Entwicklung der EU zu einem militärisch agierenden Bündnis. Nein zur Aufrüstung. Nein zum militärischen Waffengang. Mit einer Atommacht kann nicht Krieg geführt werden, ohne mit der Gefahr eines Atomkrieges zu rechnen.

Ein Redakteur der Berliner taz hat einen Essay geschrieben mit dem Titel: „Pazifismus ist nichts für Weicheier.“ Und es stimmt: Die linke Backe hinzuhalten ist nicht Unterwerfung, sondern höchste Aktivität, die zweite Meile mitgehen ist eine wirksame Strategie der Entfeindung. Pazifismus bedeutet, sich systematisch nach Alternativen umzusehen.

Bekannt ist vielleicht die Studie eines katalanischen Friedensforschungsinstitutes, die vom völkerrechtswidrigen Angriff im Februar 2022 bis Juni 2002 ein paar hundert Beispiele des zivilen Widerstands gegen die russische Invasion aufgelistet hat.

Ich möchte hier ein Beispiel erwähnen, das anschaulich darstellt, wie Gewaltfreiheit erfolgreich funktionieren kann. Als die russische Armee zwei Tage nach der völkerrechtswidrigen Invasion in Saporischja einmarschiert ist, eine Stadt mit ungefähr 40.000 Einwohnern, hat sie den Bürgermeister festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Darauf ist die Zivilbevölkerung auf den Marktplatz gegangen und hat sich singend der Armee entgegengestellt, ganz friedlich, ohne Aggression. Die russische Armee hat ein paar Mal in die Luft geschossen. Aber das hat niemanden erschreckt. Darauf hat es Verhandlungen der Zivilbevölkerung mit der Armee gegeben mit dem Ergebnis: der Bürgermeister wird freigelassen und andererseits dürfen die Russen schauen, ob in den Häusern Waffen versteckt sind. Es wurde keine Waffen gefunden. Am 28. 3. ist die russische Armee von Saporischja weggezogen.

Solche Fälle sind viel zu wenig bekannt. Dabei war dieser Protest gar nicht systematisch vorbereitet. Pazifistisch denken würde bedeuten, sich gezielt, geplant, gut vorbereitet auf solche gewaltfreien zivilen Widerstandsformen einzulassen. Von „Strategic Nonviolent Conflict“ bzw. von „Civilian Based Defense“ spricht die Friedensforschung. Die Konzepte einer Sozialen Verteidigung, die Theodor Ebert, Gene Sharp oder das Friedensforschungszentrum Schlaining entwickelten, sind nicht obsolet.

Pazifismus ist freilich auch eine Frage des Menschenbildes: Pazifistisch denken heißt davon auszugehen, dass jeder Mensch in sich gut ist. Durch gewaltfreie Methoden wird dieses Gute zum Vorschein gebracht. Dann können wir mit Konstantin Wecker weiterhin singen: „Und wenn die Feinde kommen, werden wir sie umarmen …“

Die Friedens- und Konfliktforschung zeigt: Mit gewaltfreien Methoden gibt es weniger Leid und weniger Zerstörung. Gewaltfreie Strategien führen mehr zum „Erfolg“ als militärische Maßnahmen.

Bertram Russel oder Albert Einstein, die sich immer für den Pazifismus ausgesprochen haben, haben eine Ausnahme gemacht: Nämlich die Bekämpfung von Hitlerdeutschland. In diesem Punkt haben sie für eine militärische Befreiung Option bezogen. Das ist die eine Ausnahme. Aber: Von einer solchen Situation sind wir weit entfernt. Putin ist nicht Hitler. Das russische System ist nicht Hitlerdeutschland. Ein verbrecherisches System wie das nationalsozialistische System ist nicht gegeben.

Hitlervergleiche sind nicht angebracht, daher ist es auch fehl am Platz, wenn vergangene Woche der türkische Präsident Erdogan Netanjahu mit Hitler verglichen hatte.

Es ist richtig, dass die Welt sich gegenüber einem russischen Imperialismus wehren muss und die Völker beschützen muss, die unmittelbar davon betroffen sind. Es ist notwendig, dass das Existenzrecht des Staates Israel in keiner Weise zu gefährden Zugleich gilt: Pazifistische Strategien sind dabei wesentlich wirksamer.

Seit der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands auf die Ukraine hat es mehrere Bemühungen für eine Verhandlungslösung gegeben. Ich möchte an zwei erinnern, die zuletzt auch immer wieder diskutiert wurden. Der israelische Ex-Präsident Benet hat im März 2022 versucht zu vermitteln. Ein Friedensschluss sei greifbar gewesen, meinte er. Dann aber kam es zu Interventionen aus Großbritannien und den USA, dass man jetzt nicht verhandle. Kurz darauf kam es zu Verhandlungen in Istanbul. Es gab ein starkes Aufeinanderzugehen. Die Ukraine hätte auf einen NATO-Beitritt verzichtet und im Ausgleich dazu Sicherheitsgarantien bekommen. Umgekehrt hätten die Russen gesagt, sie zögen sich hinter die Linien des 24.2. zurück.

Es wäre auch heute noch möglich zu verhandeln, Verhandlungsangebote zu machen, über die Krim und den Donbass auf dem Verhandlungsweg zu reden. Selenskyi wie Putin folgen jedoch der Logik der Krieger. Je länger der Krieg dauert, desto schwerer wird das verhandeln, aber es ist immer noch möglich. Konflikte und Kriege sind diplomatisch zu lösen. Man muss aufeinander zugehen, um Frieden zu machen.

Ein weiterer Gesichtspunkt lautet: Gewaltfreie Strategien und ihre Methoden können höchst erfolgreich sein, würden sie systematisch angewendet. Ein Beispiel. Während meines Sabbaticals im vergangenen Jahr war ich im Baskenland. In Donostia/San Sebastian besuchte ich das baskische Nationalmuseum. In einer Ausstellung zur Geschichte des Baskenlandes hieß es: Hätten weder große Teile der katholischen Kirche noch die westlichen Mächte Franco nicht unterstützt, hätte es im Gegenteil wirtschaftliche und politische Sanktionen gegeben, so wäre seine Diktatur viel früher beendet worden. Auch hier liegt wieder eine bleibende Ansage – bis in die Gegenwart des Ukrainekrieges hinein. Im Geflecht internationaler Wirtschaftsbeziehungen wäre es möglich, Imperatoren die Grenzen zu setzen.

Egal ob in Spanien zur Zeit der Frankodiktatur oder der Ukraine, ob in Afrika, Asien oder Europa: überall auf der Welt gelten die Erkenntnisse aus der Friedensforschung, wie Kriege ohne Militärgewalt beendet werden können. Seit der völkerrechtswidrigen Invasion russischer Streitkräfte hat die ukrainische Zivilgesellschaft spontan und mutig in Hunderten gewaltfreien Aktionen wie ziviler Ungehorsam, Straßenblockaden oder Kommunikationskampagnen ihren Widerstand ausgedrückt. Das Internationale Katalanische Institut für den Frieden (ICIP) hat in Zusammenarbeit mit einem Institut der Universität Jena Daten über den gewaltfreien Widerstand in der Ukraine vom 24. Februar bis zum 30. Juni 2022 gesammelt und ausgewertet. Insgesamt listet der umfangreiche Forschungsbericht 235 dokumentierte gewaltfreie Aktionen auf. Sie werden in drei Kategorien systematisiert: Protestmaßnahmen (148), gewaltfreie Interventionen (51) sowie Formen der Nicht-Zusammenarbeit (36). Es ist wie eine To-Do-Liste des gewaltfreien Widerstands, wie ich sie in einem Forschungsprogramm unter Leitung von Gene Sharp an der Harvard Universität kennenlernen und erforschen konnte. In einer interaktiven Karte des katalanischen Institutes kann die zeitliche sowie geographische Abfolge der gewaltfreien Aktionen im Rahmen dieser drei Kategorien nachverfolgt werden. Während die offenen Protestaktionen im April aufgrund stärkerer Repressionen abnahmen, nahmen die verdeckten Widerstandsformen von Nicht-Zusammenarbeit und zivilem Ungehorsam zu. Gewaltfreie Interventionen waren vor allem zu Beginn sehr verbreitet. Bilder von Bürgerinnen und Bürger, die Straßenblockaden errichteten, Straßenschilder austauschten und Panzer an der Weiterfahrt hinderten, gingen durch die Berichterstattungen. Da die Ukraine reich an Erfahrungen mit gewaltfreier Aktion ist, da es viele Vernetzungen auf unterschiedlichen Ebenen gibt, ist der in der Frühphase der Invasion organisierte gewaltfreie Widerstand verständlich.

Internationale Studien haben zwar gezeigt, dass auch gewaltfreier Widerstand keine Erfolgsgarantie geben kann, doch noch weniger kann es das Setzen auf die militärische Karte. Im Gegenteil. Ein historischer Vergleich zeigt, dass gewaltfreier Widerstand mehr als doppelt so oft erfolgreich war als militärischer.

Wir sehen es seit nun schon zwei Jahren in der Ukraine: Der Versuch, die von Russland besetzten Gebiete militärisch zu „befreien“, feuert den Krieg immer noch mehr an, führt zu völlig zerstörten Städten, Abertausenden Toten und Verletzten und drängt eine friedliche Zukunft für das Land hinaus.

Die Schwächen des gewaltfreien Widerstands in der Ukraine sind ebenfalls offensichtlich. Sehr bald schon wurde mit voller Kraft auf die militärische Widerstandskraft der Ukraine gesetzt. Kampfparolen waren an der Tagesordnung. Generalmobilmachung erfolgte. Massive Waffenlieferungen aus dem Westen begannen. Allein die USA haben viele Milliarden für militärische Rüstungsanstrengungen in der Ukraine ausgegeben. All diese Anstrengungen verdrängten die anfänglich gewaltfreien Protestmaßnahmen.

Geschichte ist nicht dazu da, um gefährliche Irrwege zu wiederholen, sondern um die Lehren daraus zu ziehen: Gewaltfreie Widerstandsformen gegen illegitime Eroberungen sind, wenn systematisch vorbereitet und geschult, jeder Gewalt vorzuziehen.

Als Mitglied von Pax Christi blicke ich zugleich auf meine wichtigste Inspirationsquelle: Die Botschaft und das Leben von Jesus von Nazareth. Würden all die religiösen Führer heute ihre Reden am Evangelium orientieren, gäbe es keinen russischen Patriarchen mit seiner offenen Unterstützung für Putin, gäbe es aber ein kirchliches Nein zu militärischem Abwehrdenken, besännen sich die Kirchen selbst zu ihrem gewaltfreien Ursprung, dann würde es keinen Krieg mehr geben. Juden, Christen und Muslime würden wieder in Frieden miteinander leben, wie sie es in Cordoba oder Sevilla taten, Modell auch für gewaltfreies Zusammenleben von Ukrainern und Russen, die sich im gemeinsamen Bekenntnis an die gewaltfreie jesuanische Botschaft finden könnten. Die katholische Kirche heute – ganz oben mit Papst Franziskus – gibt zum Glück jenen Kurs vor, der sagt: Jeder Krieg ist ein Verbrechen! Ich wage zu behaupten: Wenn heute alle religiösen Menschen die militärischen Denkmuster aufgäben – also auch auf Waffenlieferungen und Aufrüstungen verzichteten – dann hätten wir den Traum vom „ewigen Frieden“ erreicht.

Jesus ist eben kein Revolutionär, der mit der Waffe in der Hand für eine gerechte Sache gekämpft hätte. Im Gegenteil: Seine Botschaft der linken/rechten Backe, der zweiten Meile und der Feindesliebe gilt. Sie ist unbestreitbar. Der Gewaltverzicht Jesu ist integraler Bestandteil des Christentums. Jesus fordert uns in den Seligpreisungen dazu auf, Pazifistinnen und Pazifisten zu sein – selig, die pacem facere, selig die Friedensstifterinnen und Friedensstifter. Selig die Pazifistinnen und Pazifisten!

8        Mahnende Erinnerungen und wegweisende Geister im Jahr 2024

Ich habe meinen Vortrag mit der Geschichte von Bad Ischl begonnen und sie verknüpft mit Kaiser Franz Joseph und seiner Kriegslogik. Erlauben Sie mir, nun auch mit einigen europäischen Rückblicken zu schließen, und sage mit dem wohl berühmtesten Diktum von Bruno Kreisky „Lernen Sie Geschichte!“

Im Jahr 2024, in dem Bad Ischl und das Salzkammergut zur Kulturhauptstadt Europas ernannt worden sind, wird auch an den 300. Geburtstag von Immanuel Kant erinnert und damit an die Aufklärung. Der absolutistische Monarch in seiner Ischler Kaiservilla war ein absolutistischer Herrscher und bekämpfte den Geist der Aufklärung. Als größter Dichter der Aufklärung gilt hingegen Johan Wolfgang von Goethe. Um die pazifistischen Fäden aus der europäischen Kulturgeschichte aufzugreifen, könnten wir auf sein Werk „Iphigenie auf Tauris“ blicken. Die Protagonistin schafft es, auf gewaltfreiem Weg durch seelische Aufrichtigkeit Konflikte zwischen Göttern und Menschen und zwischen Menschen untereinander zu lösen. Ihre Sprache ist die der dringenden Beschwichtigung und nicht des gewaltbereiten Aufschaukelns. Der Gedanke an Tod durch Krieg und Gewalttätigkeit bringt sie zum Schaudern. Die Aufforderung zum Duell im Höhepunkt des Spannungsaufbaus im 5. Akt versucht sie folgendermaßen abzuwenden:

„Lasst die Hand / Vom Schwerte! Denkt an mich und mein Geschick. / Der rasche Kampf verewigt einen Mann: / Er falle gleich, so preiset ihn das Lied. / Allein die Tränen, die unendlichen / Der überbliebnen, der verlassenen Frau, / Zählt keine Nachwelt, und der Dichter schweigt / Von tausend durchgeweinten Tag- und Nächten.“

Iphigenie hat die Gewalttätigkeit selber erfahren: sie hat ihre gesamte Familie verloren, wurde fast Opfer eines religiösen Mordes und war auch im Exil Zeugin von Ritualmord. Die andere, die nicht gewalttätige Politik, wird bei Goethe mit dem Weiblichen assoziiert:

„Wohl uns, dass es ein Weib ist! Denn ein Mann, der beste selbst, gewöhnt seinen Geist An Grausamkeit und macht sich auch zuletzt Aus dem was er verabscheut, ein Gesetz […] Allein ein Weib bleibt stets auf einem Sinn, Den sie gefasst. Die rechnest sicherer Auf sie im Guten wie im Bösen“

Die europäische Geschichte kennt nicht nur die Habsburgergeschichte. Es waren vor allem Frauen, die als Opfer der Kriege gegen Krieg und Militarismus anschrieben und so selbst zu Subjekten des Widerstands wurden. Eine davon ist Hedwig Dohm, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin als Feministin und Schriftstellerin wirkte. Ich zitiere sie:
„Schrieb ich’s nicht schon, dass ich politisch ganz und gar ungebildet bin? Aber sie behaupten doch immer, Frauen brauchten nichts zu wissen, nichts zu lernen, sie wüssten alles aus sich selbst, intuitiv, mit dem Gefühl. Da siehst du, was aus dem Nurgefühl herauskommt: Fieber der Kriegspsychose, das in dem Krieg nur ein Gemetzel sieht, nicht den Geist, der über den Blutströmen schwebt. – Schwebt er? Ist das deine Meinung? Ach nein – nein – siehst du sie nicht – die vielen, vielen selig grinsenden Kadaver? Weh, ach weh! Aus Massengräbern steigen sie. Schatten nur, und doch rinnen aus furchtbaren Wunden ihnen Bäche von Blut. Gierig, gierig trinkt sie die Erde, und Dämpfe wallen auf wie blutendes Feuer, ihre Funken zersprühen mir das Herz. Weinen muss ich, alle Tage, alle Tage, und alle Nächte muss ich weinen — immerfort.“

Den Worten von Hedwig Dohm und ihrem Weinen über den Krieg möchte ich nichts mehr hinzufügen. Mit einer Wehklage habe ich begonnen, mit einer Wehklage höre ich auf.

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