Die weiße Fahne und die weiße Soutane: Warum Papst Franziskus so recht hat!

Vom Mut zur weißen Fahne und vom Nein zum Waffenlieferungs-Bellizismus

Weltweit hat der Vorschlag von Papst Franziskus, dass die „weiße Fahne“ als Friedensstrategie für die Ukraine in Erwähnung gezogen werden sollte, für Aufsehen und auch Empörung gesorgt. Im ORF darf ein Generalstabschef wieder einmal den Krieg erklären, für Aufrüstung – die er als „Nachrüstung“ behübscht – Werbung machen, Sky-Shield loben und zugleich den Papst für seine deeskalierende Botschaft als „naiv“ bezeichnen. In Deutschland wird zeitgleich mit dem päpstlichen Aufruf zur Waffenruhe über die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine debattiert. Ein einzelnes Stück kostet eine Million Euro – das ganze Drumherum ist damit noch gar nicht einberechnet. Jene, die dies zu verantworten hätten, reden abschätzig über die „Weiße Fahne“-Politik des Papstes. Wird der Katholik Joe Biden auf Papst Franziskus hören? Scharf abgelehnt wurden die Papst-Äußerungen jedenfalls von Selenskyi selbst. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen genauso wie die deutsche Außenministerium Annalena Baerbock bekundeten gleich ihre bleibende militärische Unterstützung für Selenskyi. Der NATO-Generalsekretär deutete die Weiße Fahne zum jetzigen Zeitpunkt als Aufgabe der Ukraine und damit zu einer Besatzung dieses Landes. Momentan sei nur militärischer Widerstand gegen Russland sinnvoll.

Leider reduziert sich die Debatte zu sehr auf das Symbol der „weißen Fahne“, das unrichtigerweise mit einer feigen Kapitulation vor dem bösen Feind gleichgesetzt wird. Papst Franziskus sprach vor allem von Waffenstillstandsverhandlungen unter internationaler Vermittlung. Das Kapitulationsnarrativ wurde ihm ungerechtfertigterweise angedichtet. Der Papst im Wortlaut des Interviews, das in einem Schweizer Rundfunksender am 20. März ausgestrahlt werden soll: „Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln“ … Er sei der Ansicht, dass derjenige Stärke zeige, „der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Fahne zu hissen und zu verhandeln … und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‚verhandeln‘ ist ein mutiges Wort.“

„Das Gebell der NATO“

Was der Papst fordert, ist so gar nicht neu für ihn, und der Blick auf die letzten zwei Kriegsjahre zeigt schmerzlich, wie recht der Staatschef im Vatikan doch hat. Franziskus hat vor zwei Jahren den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine unmittelbar schärfstens verurteilt. Er hat sich seither ständig um diplomatische Klärungen bemüht, sowohl gegenüber Patriarch Kyrill und zugleich gegenüber Staatenlenkern. In seinen Stellungnahmen hat der Papst versucht wegzukommen von dem Einteilen in Gute und Böse. Anders als in der westlichen Welt üblich hat sich Franziskus auch mit der Kritik an der NATO nicht zurückgehalten. Er sprach von einem „Gebell der NATO“, das den Krieg befeuert habe. Auf die Kritik an seiner Positionierung antwortete Franziskus einmal: „An dieser Stelle könnte mir jemand sagen, ich sei für Putin. Nein, das bin ich nicht. So etwas zu behaupten, wäre vereinfachend und falsch. Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung von Gut und Böse zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind. Während wir die Grausamkeit der russischen Truppen sehen, dürfen wir die Probleme nicht vergessen und wir müssen versuchen, sie zu lösen.“

Im Dritten Weltkrieg

Mehrfach hat der Papst bereits vor dem Ukrainekrieg von einem „Dritten Weltkrieg in Stücken“ gesprochen. Mit dem Ukrainekrieg ist dieser Weltkrieg in den Augen von Franziskus nun ausgebrochen. Die Ablehnung des Krieges ist dem Bergoglio-Papst bereits in die Wiege gelegt worden. Sein Großvater war als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Piave eingesetzt und hat die Schrecken dieses Krieges am eigenen Leib erfahren.

In den vergangenen zwei Jahren wurde der Papst immer wieder als „Putin-Versteher“ diffamiert. Seine Kritik an den Waffenlieferungen war jedoch stets verbunden mit der Sorge um die Ausweitung des Krieges. Er hat unermüdlich für den Verhandlungsweg plädiert. Damit steht der Papst in der Tradition der diplomatischen Vatikanstrategie, die sich bewusst nicht auf eine Seite stellt, um als Vermittler für beide tätig sein zu können. Wenn wir an das Pontifikat von Franziskus denken, so könnten wir auf jenen Erfolg vor 10 Jahren blicken, als es mit vatikanischer Diplomatie gelang, ein Treffen zwischen der kubanischen Staatsführung und US-amerikanischen Vertretern zustande zu bringen. Franziskus verknüpft in seinen Dokumenten wie Fratelli tutti, Laudato Si und zuletzt Laudate Dominum stets die Fragen von Ökologie, Gerechtigkeit und Frieden. Die Ablehnung der Atomwaffen ist dabei konstitutiv im Denken von Franziskus. Gerade jetzt ist diese Verurteilung so wichtig. Selbst der Besitz von Atomwaffen und die Strategie der Abschreckung wird als „sündhaft“ beschrieben. Das „Konzept der sozialen Freundschaft“, wie es in der Enzyklika Fratelli Tutti entwickelt wurde, ist ein Strategie, die so gar nicht den Aufrüstungs- und Hochrüstungsplänen der Herrschenden heute entspricht. Freilich ist es ins Herz der katholischen Soziallehre eingeschrieben, in der Gewaltverzicht beginnend mit Papst Leo XIII. der rote Faden über all die Jahrzehnte geblieben ist.

Selbstverteidigungsrecht ist nicht gleich militärischer Waffengang

Das zentrale Argument der Befürworter für Waffenlieferungen lautet, dass die Ukraine doch ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Auch die katholische Kirche, so wird gesagt, hätte stets dieses Selbstverteidigungsrecht als Grundlage ihrer Friedenslehre gesehen. Pazifistische Positionen negieren nicht dieses Recht. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass Selbstverteidigungsrecht und die Wiederherstellung von Recht, Ordnung und Frieden mit nicht-militärischen, mit diplomatischen Mitteln, mit gewaltfreien Strategien weit besser bewerkstelligt werden können.

Die klassische, 1500 Jahre alte Lehre vom „bellum justum“ (Gerechter Krieg) taugt weiterhin, auch im Falle des Ukraine-Krieges als Referenzrahmen. Sie gesteht zunächst zu, dass Verteidigung der einzige Rechtfertigungsgrund für einen Krieg sei, stellt zugleich aber klare Bedingungen auf: Wenn es keinen Aussicht auf Erfolg gibt, wenn sich die Situation für die Menschen verschlimmert, wenn die Mittel unangemessen sind, dann darf nicht zu den Waffen greifen. Außerdem müssen zuerst auch alle anderen nicht-militärischen Mittel ausgeschöpft sein.

Der Papst glaubt nicht an Gewalt und Waffen

Mit Gewalt kann ich nichts erreichen. Das ist das Credo von Papst Franziskus. Krieg schafft nichts als Elend. Waffen schaffen nichts als Tod. Das ist wohl gemeint, wenn der Papst von der Notwendigkeit der Weißen Fahne spricht, die nicht gleichzusetzen ist mit einer unterwürfigen Kapitulation, sondern als Waffenruhe interpretiert werden kann, die dann erst Raum für Friedensverhandlungen schaffen könnte. Die Bergpredigt und die Botschaft und das Beispiel Jesu sind dafür die leitgebende Inspiration. Der Gewaltverzicht und die Feindesliebe, wie sie dort beschrieben sind, sind höchste Aktivität und Widerstand gegen Unrecht. Der Papst sagte in der Osterbotschaft 2022 vor dem Segen Urbi et orbi – und es bleibt gültig: „Möge man den Frieden wählen! Man möge aufhören, die Muskeln spielen zu lassen, während Menschen leiden. Bitte, bitte, gewöhnen wir uns nicht an den Krieg. Setzen wir uns alle dafür ein, auf unseren Balkonen und den Straßen mit lauter Stimme den Frieden zu verlangen. Frieden! Diejenigen, die für die Nationen Verantwortung tragen, mögen auf den Schrei der Menschen nach Frieden hören. Sie mögen die beunruhigenden Fragen hören, die Wissenschaftstreibende schon vor 70 stellten: Werden wir dem Menschengeschlecht ein Ende setzen oder wird die Menschheit imstande sein, auf den Krieg zu verzichten.“ Mögen solche Worte auch zur Osterbotschaft der Bischöfe und katholischer Organisationen hierzulande werden!

Bleibende Solidarität mit der Ukraine

Hört man jedoch auf die Stimmen in der katholischen Kirche in Österreich, so vermisse ich die Klarheit, mit der sich Papst Franziskus gegen das Waffengedröhne ausspricht. Die Äußerungen des Papstes fielen in die Zeit, als die Österreichische Bischofskonferenz tagte. Bischof Zsifkovics mahnt eine „bleibende Solidarität“ mit der Ukraine ein. Nichts ist gegen eine „bleibende Solidarität“ einzuwenden. Die Frage bleibt jedoch, was darunter verstanden werden soll. Eine militärische Solidarität mit Waffenlieferungen und Aufrüstung, mit einem Heranrücken an die NATO und einer Konfrontationspolitik? Oder eine Solidarität im Sinne von Papst Franziskus, die dem Wüten des Krieges und dem sinnlosen Töten ein Ende machen möchte und zum Verhandlungsweg aufruft? Eine Solidarität, die militärische Logik inkludiert, die letztlich bis zu einer atomaren Auseinandersetzung führen könnte, oder eine Solidarität, die auf Seiten aller Völker steht, die nicht den Krieg wollen?

Kommentare

  1. Lieber Klaus, ich frage mich nur, wie Friedensverhandlungen mit einem Angreifer aussehen könnten, der die Existenzberechtigung seines Widersachers bestreitet. Solange er das tut, gibt es doch null Basis für eine Verständigung.

    1. Lieber Robert, Danke für deinen berechtigten Zweifel. Wenn ich versuche, mich in die päpstliche Friedenslogik hineinzusversetzen, dann könnte sie so lauten: Was wäre, wenn bestimmte Punkte, die Putin vor der völkerrechtswidrigen Invasion verlangte, eingehalten würde: Kein NATO-Land-Ukraine an seiner wichtigsten Grenze, sondern ein neutraler Staat, in dem auch die Autonomierechte der russischen Bevölkerungsanteile im Donbass beachtet werden. Würde dies ein Verhandeln ermöglchen, mit dem das Blutvergießen gestoppt werden könnte? Dass es jedenfalls mit militärischen Mitteln nicht funktioniert und DIE WELT mehr und mehr in kriegerische Situationen verstrickt, dafür sind wie jeden Tag wieder neu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.

      1. Mit dieser Ansicht kommt es zu zwei großen philosophischen Problemen. Ein internationalistisches und ein konsequentialistisches.

        Zum einen setzt dies einen verehrenden Präzedenzfall. Das Projekt der Europäischen Union beweist: Wenn es nicht im rationales Interesse eines Staates liegt den anderen anzugreifen, so wird kein Krieg geführt. Eine solche Situation kann entweder durch eine Allianz herbei gebracht werden wie NATO (da kein Staat einen solchen Krieg zu gewinnen vermag) oder durch ein Ökonomisches Bündnis wie die EU (einen anderen Staat einzuverleiben würde der wirtschaftlichen Lage des eigenen Staates schaden.

        Sollte es nun einem größeren Land gelingen strategische Interessen durch Kriegsführung erfolgreich durchzusetzen, so würde dies Kriegserklärungen als politischen Werkzeug legitimieren. Darüber hinaus ist hat Putin es klar gemacht das die „Entnazifizierung“ der Ukraine das Ziel des Krieges ist.

        Das ein faschistischer Diktator dessen Armee gezielt Zivilisten tötet keine Ideologischen Probleme mit Nazis hat sollte eine Trivialität seien. Vielmehr geht es hierbei nach dem Modell der Sowjetunion einen Schild aus Puppenstaaten zu erzeugen, die Ukraine würde dann Belarus gleichen.

        Zudem wer sind wir das wir den Ukrainern und Ukrainerinnen ihre freie Entscheidung, sich gegen eine russische Invasion zu verteidigen absprechen? Sagen wir das ein Mensch nicht rational handelt wenn er sich in einen aussichtslosen Kampf stürzt? Wenn ja ab wann determinieren wir ob ein Krieg verloren ist? Vietnam gewann gegen die USA, Finnland schlug die rote Armee vernichtend Schlacht nach Schlacht.

        In der Schlacht von Myeongnyang wurde die japanische Flotte von bis zu 300 Kriegsschiffen vernichtend von 13 koreanischen Schiffen geschlagen. Das Ergebnis der Schlacht schien unmöglich, und doch war es diese Schlacht was Korea vor einer Eroberung von Japan gerettet.

        Wenn es nicht die Aussichtlosigkeit des Kriges ist, was dann gibt uns ein Recht jemanden zu verbieten sich zu verteidigen? Ich muss gestehen das ich nicht die Antwort habe, vor allem da ich nicht glaube das es Ihnen oder mir zusteht darüber zu richten.

    2. Lieber Hr. Mitscha-Eibl!
      Mir stellt sich primär die Frage, wer hat den Krieg begonnen? Der Beginn liegt für mich in der Ansage der USA die NATO bis an die Grenze Russlands auszudehnen – durch die Aufnahme der Ukraine in das US-Militärbündnis NATO. Das stellte aus Sicht Russlands natürlich eine Bedrohung dar. Die schriftlichen russischen Vorschläge zu einer Neutralität der Ukraine wurden von den USA nicht einmal beantwortet!
      Mit diesem Krieg haben die USA einen neuen Absatzmarkt für Rüstungsgüter erschlossen, nachdem sie nach 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen waren. Das war Ende 2021. Im Februar 2022 ist Russland einmarschiert, in der Ukraine. Das war von einem ThinkTank sicher so geplant. Und die Russen sind darauf hereingefallen – aber was hätten sie sonst machen können?
      Jedenfalls der Dollar rollt wieder für die US-Rüstungsindustrie. Was will man mehr? Und jetzt zahlt das zahlungskräftige Europa!

  2. Der Wille zu Beseitigung der Ukraine als selbständigen Staat durch die Russische Föderation, eigentlich eher von Seiten Putins, scheint doch das grosse Problem zu sein.

  3. Persönlich habe ich allerdings das Heranrücken der NATO an die Russische Grenze als Problem gesehen. Wobei natürlich die Ängste der ehemaligen Staaten im Ostblock bezüglich des Verhaltens Putins auch beachtet werden müssen. Angst bezüglich des Verhaltens der Nachbarn ist immer wieder die Grundursache von Konflikten die im militärischen münden, da das Vertrauen fehlt.

  4. Mich verwundert bzw. entsetzt, mit welcher Sicherheit nicht wenige Zeitgenossen Putin jegliche Verhandlungsbereitschaft absprechen können, bevor man je Gespräche und Verhandlungen mit ihm versucht hat.

  5. Eine Überlebensfrage ist für mich, wie sich Kriegshandlungen mit Ihrem Abfall, Materialverbrauch, Gewinnung von Bodenressourcen und der Umweltverschmutzung auf die Atemluft und Lebensmöglichkeiten dieses Planeten auswirken und auswirken werden. –
    Wenn ich mich richtig erinnere, wurde von Putin ca um 2000 in etwa geäußert, dass eine Wirtschaftsunion von Wladiwostok bis Portugal gut wäre.

  6. Offen ist für mich die Information über die Wirkung von Kriegshandlungen auf Menschen und die Lebensbedingungen wie für die Atemluft, den Abbau der mit Umgang mit den Ressourcen des Planeten für Generationen.
    Ich glaube mich richtig zu erinnern, dass ca. um 2000 Putin in einer Rede im Fernsehen) gemeint hätte, dass eine Wirtschaftsunion von Wladiwostok bis Portugal „erstrebenswert“ wäre.

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