
Die Neutralität feiert einen Runden und ich feiere mit ihr
70 Jahre wird sie nun alt, die österreichische Neutralität. Dies könnte ein Grund sein, um sie beim Nationalfeiertag am 26. Oktober im Jahr 2025 besonders zu feiern. In meiner friedenspolitischen Arbeit war mir die immerwährende Neutralität und eine davon abgeleitete mögliche „engagierte Neutralitätspolitik“ stets ein besonderes Anliegen. Als in den 90er-Jahren stückchenweise die Neutralität entsorgt werden sollte, bastelten wir an einer großen Salami-Attrappe mit eineinhalb Metern Durchmesser und drei Metern Länge. Ein Teil war aber schon abgeschnitten – Symbol für die Salamitaktik der Herrschenden zur Entsorgung der Immerwährenden. Unsere Neutralitätssalami wurde als politisches Kunstobjekt in der Maria-Theresien-Straße platziert. Als wir als Friedensgruppen ihren 40er feierten, gründeten wir die „Neutralitätsinitiative Tirol“ und waren immer wieder politisch nach außen aktiv, um auf die positiven Aspekte dieses besonderen Merkmals der österreichischen Identität aufmerksam zu machen. Als das Österreichische Bundesheer eine große Leistungsschau hoch über Innsbruck auf der Seegrube durchführte, entrollten wir Mitte der 90er-Jahre in der Karrinne über dem Heeresspektakel ein großes Transparent mit der Aufschrift: „NATO Nein, Neutralität Ja“. Die Alpinsoldaten hatten nun die Aufgabe, uns wegen Störung einer Veranstaltung vom Berg zu holen. Es war die Zeit, als ein Bundeskanzler die Neutralität auf die Stufe von Mozartkugeln und Lippizaner stellte, die nur mehr Folklore sei. Man sollte sich besser überlegen, dem nordatlantischen Verteidigungspakt beizutreten. Warum man das nicht tun sollte und worin der besondere Wert der Neutralität liegt, konnte ich in einem 300-Seiten dicken Buch zur österreichischen Neutralität gemeinsam mit meinem Freund Peter Steyrer darstellen. Wir haben damals versucht herauszuarbeiten, dass das völkerrechtlich klar definierte Konzept der Neutralität eine Alternative bietet zur militärischen Logik, die in sich immer nach möglichst großen militärischen Kapazitäten und einer militärischen Bündnispolitik führt.
Das Konzept der unbewaffneten Neutralität
Zu Beginn des ersten Kapitels schrieben damals Peter Steyrer und ich: „Umgekehrt gilt: Wer sich Sicherheit nicht so sehr von den militärischen Potentialen erwartet, sondern im Gegenteil in ihnen einen Unsicherheitsfaktor sieht, für den oder die ist Neutralität ein wichtiger Ansatzpunkt für eine nichtmilitärische und umfassende Sicherheitspolitik auf nationaler wie internationaler Ebene.“ Im zweiten Teil des Buches haben wir herausgearbeitet, wie auf der völkerrechtlichen Basis der Neutralität eine Abschaffung der militärischen Kapazitäten und gleichzeitig ein Aufbau einer nichtmilitärischen Sicherheits- und Friedenspolitik erfolgen könnte. Unter anderem finden sich darin Hinweise auf große politische Gestalten wie Alfred Dallinger, der vor mehr als 40 Jahren es so ausdrückte: „Als kleines neutrales Land hätten wir die Chance, neue sicherheitspolitische Wege zu gehen, die auf das Mittel der Androhung bzw. Anwendung militärischer Gewalt prinzipiell verzichten.“ Leo Specht formulierte es ähnlich: „Die Entmilitarisierung Österreichs ist mit der immerwährenden Neutralität Österreichs vereinbar.“ Wir haben in unserem Buch deutlich gemacht, dass die Formulierung „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ gerade nicht zu einer bewaffneten Verteidigung führen muss, wenn die Vielzahl an nicht-militärischen Mitteln tatsächlich weit besser zur internationalen Solidarität sowie zur Sicherheit Österreichs beitragen könnten. Die demokratischen Institutionen der Republik Österreich haben das Recht und die Pflicht, die konkrete Ausgestaltung des Bundesverfassungsgesetzes selbst zu bestimmen, dabei aber die drei klassischen völkerrechtlichen Kernelemente der Neutralität – keine Kriegsbeteiligung, keine Stationierung fremder Truppen auf dem eigenen Territorium und kein Beitritt zu Militärbündnissen – einzuhalten.
Neutralität und ihre Verzweckung für Militarisierung
Anlässlich des Neutralitätsjubiläums lud das österreichische Parlament am 20. Oktober 2025 zu einem Symposium ins Hohe Haus. Moderiert wurde die Veranstaltung von Christian Wehrschütz, der seine Identität als Oberstleutnant und Milizoffizier bewusst in die Diskussion einbrachte. Den militärischen Steilpass lieferte zu Beginn die Schweizer Parlamentspräsidentin mit ihrer Interpretation der Schweizer Neutralität: Sie mache nur Sinn in Verbindung mit einer starken Armee – und deswegen müsste die Schweiz eben viel mehr aufrüsten und dafür bräuchte es auch eine eigene Rüstungsindustrie, um entsprechende Kapazitäten zu haben. Eine solche Rüstungsindustrie sei aber zugleich nur existenzfähig, wenn sie auch entsprechend exportieren dürfte. Dieses Zuspiel haben dann Joachim Adler, Chef der Schweizer Verteidigungspolitik, sowie General Robert Brieger vom Österreichischen Bundesheer gerne angenommen. Letzterer wiederholte: Neutrale Länder bräuchten zunehmend militärische Kapazitäten. Die anschließende Runde mit den Wehrsprechern der im Parlament vertretenen Parteien war wenig überraschend ebenfalls ganz auf dieser Linie. Für mich besonders enttäuschend war wohl die Positionierung von David Stögmüller von den Grünen. Eine Partei, die einstmals das parlamentarische Spielbein einer pazifistisch orientierten Friedensbewegung war, hat sich diesbezüglich radikal gewandelt. Stögmüller bekannte sich klar zu einer Verdoppelung des Wehrbudgets auf zwei Prozent, zu einer eigenen Rüstungsindustrie, die in einem gemeinsamen liberalen Markt auch operieren können müsste. Dazu passte auch die Äußerung des Wehrsprechers der Neos, Douglas Hoyos-Trauttmansdorff, man müsse daher auch über eine Änderung des Kriegsmaterialiengesetzes diskutieren, weil es die heimische Rüstungsindustrie knebeln würde. Christian Wehrschütz beendete die zweieinhalbstündige Veranstaltung mit einem flapsigen Spruch: „Ich weiß nicht, wie man die Neutralität beschützen soll, wenn das Bundesheer nicht kriegstauglich ist.“
Am 26. Oktober 2025 und an ihrem 70. Geburtstag wird die immerwährende Neutralität also im Zeichen von weiterer Aufrüstung gefeiert werden. Dazu passt der Aufbauplan „Österreichisches Bundesheer 2032+“ und das vom Nationalrat beschlossene Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz. Dazu passt das Doppelbudget 2025/26, das für 2025 im Vergleich zu 2024 beim Verteidigungsbudget eine 18-prozentige Steigerung vorsieht. 2026 wird erstmals die 5-Milliarden-Grenze durchbrochen – eine Verdoppelung im Vergleich zu 2020. Dies alles geschieht in Zeiten von Sparmaßnahmen im sozialen Bereich. Tu felix Austria passt in die Spiralen der Aufrüstung, die weltweit geschehen und die Welt immer noch mehr in eine kriegerische Zukunft treiben. Die Welt, in der gegenwärtig mehr als 70 kriegerische Konflikte stattfinden, braucht nicht noch einen hochbewaffneten und kriegsfähigen Staat, sondern braucht neutrale Länder, die auf die Kraft kooperativer Sicherheit setzen, auf Mittel der gewaltfreien und sozialen Verteidigung sowie den Bausteinen, auf denen ein positiver Frieden ruht.
klaus.heidegger, zum Nationalfeiertag am 26. Oktober 2025