Kopftuchdiskurs reloaded  

1        Kopftuchdiskussion als Dauerthema

Mein Ausgangspunkt

Wenn ich in meiner Nachbarschaft, im Dorf, irgendwo auf der Straße oder auch in der Schule ein Mädchen oder eine Frau mit Kopftuch sehe, nehme ich es zunächst als Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit, als Teil ihrer Identität und selbst gesetzter Grenze ihrer Intimität wahr. Es ist für mich Ausdruck für Religionsfreiheit und ich bin dankbar, in einem Staat zu leben, in dem Religionsfreiheit garantiert wird.

November 2018: Kopftuchverbot in Schulen

Die türkis-blaue Regierung brachte am 21. November 2018 im Parlament einen Entwurf für eine neue Verfassungsbestimmung im Schulunterrichtsgesetz ein, mit dem in den Volksschulen ein Kopftuchverbot eingeführt werden soll. Bei Vergehen sollen drastische Maßnahmen gesetzt werden: Vorstellung der Eltern bei der Bildungsdirektion und Strafen von bis zu 440 Euro. Es soll bis zum Ende des Schuljahres gelten, in dem das Kind das zehnte Lebensjahr vollendet. Begründet wird das Vorhaben
a) mit dem Ziel der bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung aller Schülerinnen und Schüler
b) der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten,
c) der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie
d) der Gleichstellung von Mann und Frau.
Das Kopftuchverbot entspricht einer alte Forderung der FPÖ. Diese Partei treibt quasi die ÖVP in Sachen Islamfeindlichkeit vor sich her.

Die Dauerdiskussion

Seit ich in der Schule unterrichte, seit nun 20 Jahren, entsteht in regelmäßigen Abständen eine öffentliche Diskussion darüber, ob Musliminnen ein Kopftuch tragen müssen oder ob sie dies in bestimmten Situationen oder im Zusammenhang mit ihrem Alter nicht tragen dürfen.[1] Das Tuch braucht tatsächlich eine ernsthaft geführte Auseinandersetzung, weil es von zwei ganz entgegengesetzten Richtungen missbraucht wird: Zum einen von jenen, die darin generell eine Unterdrückung von Mädchen und Frauen sehen, und zum anderen von jenen muslimischen Communities, die ein Mädchen oder eine Frau gegen ihren Willen zum Kopftuchtragen zwingen wollen.

Die Pro- und Contradebatten bzgl. Kopftuchverbot sind für viele bereits nervend, weil immer wieder die gleichen Argumentationsmuster bedient werden und alles eigentlich schon geschrieben und gesagt worden ist.[2] Für mich als Lehrer, der jedes Jahr neue Schülerinnen und Schüler hat, bleibt diese Auseinandersetzung aber wichtig, weil damit politische, gesellschaftliche und religiöse Grundfragen kompetenzorientiert gelernt werden können. Einige der zentralen Fragen lauten: Welche Rechte haben Frauen im Islam und was bedeutet in diesem Kontext die Kopftuchfrage? Was ist mit der Aussage gemeint, dass ein Kopftuch im Widerspruch zur Integration sei? Wie steht es mit Religionsfreiheit? Was bedeutet Religionsfreiheit und wo sind ihre Grenzen zu sehen? Welche Stellung darf Religion in öffentlichen Räumen wie der Schule haben? Für die Schülerinnen und Schülern muss ich Auskunftsperson sein zu Fragen wie: Was sagt der Islam wirklich zum Kopftuch? Wird es im Koran vorgeschrieben? Stimmt es wirklich, dass mit dem Kopftuch automatisch eine Herabwürdigung der Frauen verbunden sei? Ist das Kopftuch von Musliminnen vor allem ein Zeichen für den islamischen Fundamentalismus? Obwohl also kein Kopftuchexperte, obwohl nicht Frau und nicht Muslim, bin ich trotzdem zur Stellungnahme herausgefordert, wobei es mir vor allem wichtig ist hinzuhören, was Musliminnen zu dieser Thematik sagen. Für den Unterricht in der Schule und die Diskussionen dazu dient vor allem dieses Papier.

Bewegung gegen Kopftuchzwang

Im Dezember 2017 war im Aufmerksamkeitsblickwinkel jene Bewegung im Iran, in der Frauen ihre Kopftücher abnahmen und demonstrativ als Fahne verwendeten, um so gegen einen Kopftuchzwang in ihrem Land zu protestieren. In Europa wurde diese Bewegung von rechtspopulistischen Kräften instrumentalisiert. Dabei ging es diesen mutigen Frauen nicht darum, das Kopftuch zu verbieten, sondern ihr Widerstand war vor allem ein Zeichen gegen repressive Zustände im Iran.

Vom Burka- oder Niqabverbot zum Kopftuchverbot

Im Sommer 2016 gab es europaweit Diskussionen über ein Burka- oder Niqabverbot. Ein solches Verbot wurde in einigen europäischen Ländern beschlossen. Frankreich erließ an manchen Stränden darüber hinaus ein Burkini-Verbot. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese Frage für das Kopftuch thematisiert werden würde. Im Herbst 2016 tauchte dann aufgrund eines Vorschlags von der damaligen Bildungsministerin Sonja Hammerschmid zur Schulautonomie die Frage auf, ob nicht generell alle demonstrativ religiösen Symbole in der Schule, also auch das Kreuz in den Klassenzimmern, ein Widerspruch zur religiösen Neutralität der Schulen seien.[3] Der Auslöser für eine neue Kopftuchdiskussion in Österreich war ein Papier des damaligen Regierungsberaters Heinz Faßmann zum Integrationsgesetz. Er schlug vor, das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst in das Integrationsgesetz aufzunehmen.[4] Aus heutiger Sicht ist es nicht unwichtig, die Position des jetzigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz genauer anzusehen. Er meinte damals als zuständiger Integrationsminister, dass er sich ein solches Verbot für den Schulbereich vorstellen könne.[5] Nur Lehrerinnen im bekenntnisorientierten Religionsunterricht sollen, so Sebastian Kurz, von einem solchen Verbot ausgenommen werden. Die Argumentation von Kurz für ein Kopftuchverbot in der Schule lautete: „Weil es dort um Vorbildwirkung für junge Menschen geht. Österreich ist zwar ein religionsfreundlicher, aber ein säkularer Staat.“[6] Mit diesem Sager entlarvte sich der damalige Integrationsminister selbst. Heißt dies, dass Frauen mit Kopftuch keine Vorbildwirkung für junge Menschen haben könnten? Heißt dies zweitens, dass Kopftuchtragen im öffentlichen Bereich eine Verletzung der Säkularität sei. Eine solche Haltung, und hier ist der Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Carla Amina Baghajati zuzustimmen, ist „anti-integrativ“ und „diskriminierend“.[7] Innerhalb der ÖVP bekam Sebastian Kurz damals sofort breite Unterstützung bedeutsamer Parteikollegen. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer leistete mit den Worten Schützenhilfe: „Wir müssen unsere Werte wie Freiheit, Demokratie und auch Gleichberechtigung verteidigen.“[8] Wiens ÖVP-Chef Gernot Blümel streute Blumen für den Vorschlag des Außenministers. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner plädierte ebenfalls für ein Verbot. Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter ergänzte für seinen Bereich und wollte Kleidung, die auf Religion schließen lässt, in der Justiz verbieten.[9] Auf den Einwand, dass man ja Kreuze in Schulen oder auch im Gerichtssaal nicht verbieten würde, meinte Brandstetter: „In der christlichen Kultur ist man Kreuze gewöhnt. Deshalb hat ein Kreuz in einem Verhandlungssaal bei uns keinen Auffälligkeitswert – im Gegensatz zu Kopftuch oder Kippa bei Amtsträgern. Das darf man nicht vermengen.“[10]

Gegen das angedachte Kopftuchverbot sprach sich die Islamische Glaubensgemeinschaft aus. Dies sei ein völlig falsches „anti-integratives“ und „diskriminierendes Signal“. Ex-SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar bremste ihre damaligen Regierungskollegen ein und verlangte vor allem, dass man sich nicht eine einzelne Religion, in diesem Fall den Islam, herauspicken dürfe.

In den Monaten zuvor hatten sich bereits zahlreiche Repräsentanten aller kirchlichen Gemeinschaften und Organisationen gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen. Erinnert sei beispielsweise auch an die klaren Worte von Papst Franziskus. Im Mai 2016 hatte er sich im Interview mit der französischen Tageszeitung „La Croix“ gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen. Er kritisierte „übertriebene Laizität“ und warnte davor, nur die christlichen Wurzeln Europas zu betonen. „Wenn eine muslimische Frau ein Kopftuch tragen will, muss sie das tun können, ebenso wie ein Katholik, der ein Kreuz tragen will“ [11], sagte der Papst. Jeder müsse die Freiheit haben, seinen Glauben zum Ausdruck bringen zu können, meinte er mit Blick auf das Kopftuchverbot in Frankreich. Dies müsse auch im kulturellen Zentrum erlaubt sein und nicht nur am Rand der Gesellschaft. Mit dem Kopftuch würde auch deutlich, dass Europa nicht nur eine christliche Wurzel habe. Es gäbe viele Wurzeln.

Kurz nach seiner Angelobung als Bundespräsident wurde Van der Bellen auch zu diesem Thema befragt und antwortete mit dem Hinweis auf seine liberale Anschauung: „Was die Debatte über religiöse Symbole betrifft, vertrete ich einen möglichst liberalen Standpunkt. Wenn ich ohne Krawatte hier säße, würden Sie trotzdem das Interview mit mir führen, und ich würde Ihre Frage natürlich auch beantworten, wenn Sie ein Kopftuch trügen. Ich gebe schon zu, es gibt, wie Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich neulich gemeint hat, Situationen, wo religiöse Symbole dazu verleiten könnten, die Unvoreingenommenheit eines Richters, einer Richterin in Zweifel zu ziehen. Das würde aber für alle religiösen Symbole gelten müssen – auch für den Davidstern oder das Kreuz.“[12] Und, so Van der Bellen, wenn es ein Kopftuchverbot für Richterinnen geben würde, dann wäre die juristische Konsequenz, dass es auch kein Kreuz im Gerichtssaal geben dürfte.

2        Kopftuchverbote als verschleierte Politik gegen den Islam

Wer ein Kopftuchverbot einfordert, bedient zunächst meist die gängigen Vorurteile. Man fordert es in der Meinung, dass ein Kopftuch prinzipiell ein Symbol islamischer Frauenfeindlichkeit wäre, das von fundamentalistischer Seite propagiert würde. Wenn Politiker wie Vizekanzler HC Strache oder Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der einen Seite am Kreuz in den Klassenzimmern festhalten und andererseits das Kopftuch in manchen Bereichen verbieten möchten, dann liegt die Vermutung nicht fern, dass hier zumindest mit zwei Maßstäben gemessen wird. Dies meinte jedenfalls auch Moritz Moser in einem Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung.[13] Gleichfalls argumentierte Otto Friedrich in einem Leitartikel der Furche. Wenn die Verbots-Befürworter gleichzeitig weder am Kreuz in den Klassenzimmern noch im Gerichtssaal rütteln wollen, würden sie sich unglaubwürdig machen. Das sei „entlarvend“, weil es „nicht um den religionsneutralen Staat, sondern um eine Bestimmung, die ausschließlich die Muslime im Blick hat“[14], ginge. Hierzulande ist die Forderung nach einem Kopftuchverbot meist von islamfeindlichen Kräften erhoben worden und zählte zu den Standardforderungen der FPÖ. Man tritt mit liberalem Pathos für die Rechte der Frauen und für eine weltanschauliche Neutralität der Schulen ein, will aber eigentlich den Islam damit treffen.

Das Kopftuch zu verbieten und andere religiöse Symbole zu erlauben, wäre jedenfalls diskriminierend gegenüber dem Islam. Vorurteile gegenüber dem Islam und verbunden damit das Gefühl, man müsse sich vor ihm hüten und ihn eindämmen, würden bestärkt werden.

Die Argumentation der Befürworter eines Kopftuchverbots, man könne dieses für öffentlich Bedienstete wie Lehrerinnen verlangen und zugleich die Anbringung eines Kreuzes in Gerichtssälen oder Schulen weiterhin zulassen, ist in sich widersprüchlich. Entweder sind alle religiösen Symbole erlaubt – oder eben keine.[15]

Zugleich gibt es schon die Möglichkeit einer Differenzierung, in welchen hohheitlichen Kernbereichen ein Ausschluss religiöser Symbole wie Kreuz oder Kopftuch aufgrund der Neutralitätsverpflichtung des Staates angebracht ist.[16] Während die religiös-weltanschauliche Neutralität ein Kopftuchverbot für den Richterberuf noch argumentierbar sein könnte, ist dies aber gerade für den Schulbereich nicht notwendig.

3        Laizistische Engführungen oder religionsfreundliche Säkularität

Frankreich als Musterland einer eng verstandenen Säkularität und Laizität verbietet jegliche religiöse Symbolik im Bereich der Schule – egal ob Kreuz oder Kopftuch. Eine religionsfreundliche Säkularität ist dies aber nicht. Der Innsbrucker Moraltheologieprofessor Wolfgang Palaver sprach sich in einem Facebook-Eintrag deutlich gegen Kopftuchverbote aus. Er meinte: „Nur ein laizistisch verengtes Verständnis des säkularen Staates würde eine solche Position rechtfertigen. Die Religionsfreiheit verbietet nämlich einen Zwang zur Assimilation und zielt auf eine Integration, die ein ‚Lebenkönnen aus den eigenen Wurzeln‘ voraussetzt. Ernst-Wolfgang Böckenförde, der deutsche Verfassungsrechtler, hat deshalb schon 2004 in einem Brief an den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger gegen ein Kopftuchverbot Stellung genommen. Mit guten Argumenten plädierte Böckenförde für eine übergreifende offene Neutralität des Staates. Das für Österreich vorgeschlagene Kopftuchverbot wäre hingegen ein Schritt in eine laizistische Sackgasse.“[17]

All jene, die nun nach einem Kopftuchverbot im Namen der Trennung von Kirche und Staat rufen, sind Fahnenträger des Säkularismus, der im Laufe der letzten Jahrhunderte – vor allem mit Beginn der säkularistischen Interpretation von Aufklärung – viel Gewalt und Zerstörung mit sich brachte und das grundlegende Recht auf Religions- und Meinungsfreiheit angriff.

4        Religionsfreiheit und das Grundrecht auf freie Religionsausübung

Religiöse Bekleidungsvorschriften – dazu gehören der Priestertalar, der Ordenshabit, die Kippa, das islamische Kopftuch oder der Turban der Sikh – zählen zum Grundrecht auf freie Religionsausübung. Wer heute Kopftuchverbote für Lehrerinnen oder für Kinder fordert, bedient jene Argumentationsmuster, die auch ein Kreuzverbot in den Schulklassen nahelegen. Tatsächlich ist dieser Zusammenhang mit der Kopftuchdebatte immer wieder genannt worden. Wenn schon ein Kopftuchverbot, dann müsse auch das Kreuz in den Klassenzimmern zur Disposition stehen, wurde argumentiert.

Der Umgang mit religiösen Symbolen bedarf höchster Sensibilität. Bilderstürmerei reißt nicht nur Löcher in die Wände, sondern auch in die Seelen von Menschen, führt zu Spiralen feindschaftlicher Auseinandersetzungen, zu Trennungen und Unterstellungen. Noch bevor gefragt wird, was denn das Kopftuch für deren Trägerinnen bedeutet oder welche Hintergründe ein Kreuz in den Klassenzimmern hat, verlangen Gruppierungen mit einem aufgeklärten Pathos, dass ein Kopftuchverbot erlassen und die Kreuze aus den Schulklassen entfernt werden.

Religionsfreiheit ist von ihrer Bestimmung her zunächst nicht negativ gemeint als Freiheit von Religion, sondern als Freiheit zur Religionsausübung. Weltweit werden gegenwärtig 200 Millionen Christen verfolgt. In Ländern wie Pakistan werden Christen aus religiösen Motiven kaltblütig ermordet. Kirchen werden abgebrannt. Es sind Beispiele, die uns immer wieder neu vor Augen führen, dass die Freiheit der Religionsausübung ein zentraler Wert in dieser Welt sein sollte. Wenn es verboten würde, im öffentlichen Dienst religiöse Symbole zu tragen, dann wäre das eine Verletzung der Religions- und Meinungsfreiheit. Wenn dies nur das Symbol des Kopftuchs betreffen würde, dann wäre es jedenfalls eine Diskriminierung von gläubigen Musliminnen. Für die Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch wäre es „religiöse Ungleichbehandlung“[18]. In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im März 2015 entschieden, dass ein generelles Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen, wie es unter anderem in Nordrhein-Westfalen gilt, gegen die Religionsfreiheit verstoßen würde.

5        Ein Kopftuchverbot ist diskriminierend und anti-integrativ

Niki Glattauer schreibt mit Blick auf die Wirklichkeit in Paris von der desintegrativen Wirkung von Verboten wie folgt: „In Paris, wo sie das Kopftuch (und jedes andere religiöse Symbol) seit jeher auf allen Schulstufen verbieten, sind die Gräben zwischen den Kulturen tiefer als in jeder anderen Stadt Europas. In Wien, wo man in guter, alter Tradition (und mit viel Schmäh) zu überzeugen versucht, aber sonst mit Maß und Ziel gewähren lässt, was nun einmal ist, sind solche Gräben unbekannt, auch wenn uns das manche immer wieder weiszumachen versuchen, leider auch in meinen Reihen. Da wird also gerade mit viel Rambazamba ein Problem gelöst, wo gar keines ist, Trommelwirbel für ein Verbot, das landesweit wie viele Mädchen betreffen wird? 20? 30? 50?“[19]

Die Frauenreferentin der IGGÖ weist auf die Doppelmoral hin: „Wenn Frauen mit Kopftuch putzen gehen, ist das okay. Aber sobald eine Muslimin höher qualifiziert und an ihrem Arbeitsplatz sichtbar ist, ist es ein Problem.“ Gerade Bedienstete des öffentlichen Dienstes hätten „eine positive Grundeinstellung zum Staat nicht nur verinnerlicht“, sondern seien „Multiplikatorinnen der Rechtsstaatlichkeit und Loyalität zu Österreich“. Ihnen diese Eignung abzusprechen, sei „ein Signal in die völlig falsche Richtung“. Das Diskriminierungsverbot am Arbeitsplatz untersagt Arbeitgebern seit 2004, einer Bewerberin aufgrund ihres Kopftuchs abzulehnen.

6        Die religiöse Bedeutung des Kopftuchs im Islam – ein Ausdruck islamischer Identität

Als Christ und Mann maße ich mir nicht an, über die religiöse Bedeutung des Kopftuchs selbst ein Urteil zu treffen. Fakt ist jedenfalls, dass für viele muslimische Frauen das Kopftuch eine große Bedeutung hat, während beispielsweise die alevitische Glaubensgemeinschaft bewusst keinen Zusammenhang zwischen Koran und Kopftuchgebot sieht. Wenn das Kopftuch für Musliminnen aber als Teil ihrer religiösen Identität gewertet wird, ist es zu respektieren, es sei denn, es wäre gegen die grundlegenden Freiheitsrechte von Frauen. Nie und niemals darf ein Mädchen oder eine Frau gezwungen werden, gegen den eigenen Willen ein Kopftuch zu tragen. In den Religionen wurde ein Kopftuchgebot immer wieder gefordert. Im orthodoxen Judentum galt eine Kopfbedeckung für Frauen bis ins 19. Jahrhundert. Im Christentum haben die meisten Frauenorden eine Kopfbedeckung praktiziert. Nirgends – und das muss hier auch erwähnt werden – geht es jedoch dabei um die Formen von Vollverschleierung wie Burka, Tschador oder Niqab. Das ist eine andere Diskussion.

Nicht das Kopftuch ist das Problem, sondern der Zwang, der damit verbunden sein könnte. Mädchen und Frauen können freiwillig oder unter Zwang das Kopftuch tragen. Somit gilt: Nicht das Kopftuch ist zu verbieten, sondern der Zwang![20]

Aus den Grundlagen des Islams heraus könne jedenfalls ein Zwang nicht begründet werden, so der Islamwissenschaftlicher Mouhanad Khorchide, der es wie folgt auf den Punkt bringt: „Aus dem Koran geht kein explizites Kopftuchgebot hervor, aber laut der prophetischen Tradition hat Mohammed verkündet, dass die Frauen ihre Haare bedecken sollten. Theologisch lässt sich darüber sehr viel debattieren. Das Problem ist aber auch nicht das Kopftuch selbst. … Die Frage lautet: Ist das Tragen eines Kopftuches eine Entscheidung, die eine Frau selbst getroffen hat? Wenn eine Frau sagt, sie fühlt sich mit einem Kopftuch unwohl und benachteiligt, dann sollten Theologen und die muslimische Gesellschaft nichts dagegen sagen. Wenn sie das Kopftuch aber aus eigener Überzeugung tragen möchte, muss man auch das akzeptieren.“[21] Khorchide leitet diese Position aus der tiefsten Grundlage des Islam ab, aus dem Glauben an Gott, der absolute Barmherzigkeit ist, der seine Liebe mit uns teilen möchte, ohne selbst etwas von uns zu verlangen.[22] Jeglicher Zwang ist daher im tiefsten als Widerspruch zum Islam zu werten. Die Frage des Kopftuchs ist aus theologischer Sicht zu beantworten: Glaube ich an einen strafend-rächenden Gott im Sinne einer Herr-Knecht-Beziehung oder an einen liebevollen, barmherzigen Gott im Sinne einer Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch.

Auch emanzipierte Mädchen und Frauen können ein Kopftuch tragen. Das Stück Stoff lässt nicht automatisch auf die Geisteshaltung schließen, die darunter liegt. Für Musliminnen kann es auch ein Ausdruck ihrer bewusst gewählten Religiosität sein, die sie sich in einer christlichen Mehrheitskultur sichern wollen. Eine Lehrerin wird nicht deswegen ein Problem für den Unterricht an einer Schule sein, weil sie ein Kopftuch trägt, sondern sie würde es sein, wenn sie demokratiefeindliche und dem Schulleitbild widersprechende Positionen verkörpern würde. Hier würde allerdings das bestehende Disziplinarrecht weitaus genügen, um einen fundamentalistischen Missbrauch der Präsenz an den Schulen zu verhindern.

Eine besondere Aufmerksamkeit braucht freilich die Frage, ab welchem Alter Mädchen ein Kopftuch tragen sollten. Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide schreibt dazu eindeutig, dass kein Mädchen im Alter von unter zehn Jahren sich freiwillig dazu entscheide, ein Kopftuch zu tragen. Vor allem aber will Khorchide nicht, dass ein Kopftuch mit sexualisierten Argumenten begründet wird: „Kein Mädchen im Alter von unter zehn Jahren entscheidet sich freiwillig und aus freien Stücken dazu, ein Kopftuch zu tragen. Kein Kind in diesem Alter denkt von sich aus in der Kategorie ‚Ich muss meine Haare vor den Männern verdecken‘ und schon gar nicht in der Kategorie ‚Meine Haare sind Reize, die die Männer anmachen‘. Es ist meines Erachtens ohnehin hochproblematisch, das Kopftuchgebot mit solchen sexualisierten Argumenten begründen zu wollen. Denn dadurch werden Frauen zu sexuellen Objekten stigmatisiert und Männern wird unterstellt, lustgetriebene Wesen zu sein, die nicht in der Lage sind, Frauen jenseits von sexuellen Kategorien zu begegnen. Gerade diese Argumentation ist Teil eines sexistischen und diskriminierenden Diskurses, in dem ich die Stimmen der muslimischen Frauen vermisse, die sich gegen solche Argumentationsstrukturen stellen und stattdessen ihrem Kopftuch eine spirituelle Deutung und Bedeutung geben.“[23] Khorchide kennt die Argumente, mit denen Mädchen von ihren Eltern zum Tragen eines Kopftuches gezwungen würden und schreibt sogar von einer „emotionalen Erpressung“, wenn etwa das Kopftuchtragen mit Anständigkeit begründet würde oder gar mit der Angst vor der Hölle. Khorchide wehrt sich daher nicht gegen ein Kopftuchverbot für Kinder, weil diese dadurch geschützt würden.

7        Die Lösung: Religionsfreundliche Säkularität

Am Beispiel der Diskussionen um ein Kopftuchverbot oder des Verbleibs von Kreuzen in der Schule wird das prinzipielle Verhältnis von Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften einerseits und Staat andererseits angesprochen. Die Fragen werden gestellt: Was darf ein demokratischer Staat gegenüber den Religionen tun bzw. was muss er unterlassen?

Es gilt erstens das Prinzip der Neutralität eines Staates gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften. Der Staat darf weder eine Kirche oder Religionsgemeinschaft benachteiligen oder grundlos in ihrer Religionsausübung hindern, noch darf eine Glaubensinstitution bevorzugt werden. Die evangelische Theologin Maria Katharina Moser schreibt dazu: „Der demokratische Staat darf keine Option privilegieren, die seine Bürger oder Bürgerinnen treffen – weder eine bestimmte religiöse Option noch die Option, nicht zu glauben. Aufgabe des Staates ist es, sich produktiv auf die Vielfalt der Überzeugungen einzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass alle Überzeugungen an der öffentlichen Debatte teilhaben können.“[24]

Der österreichischen Schule ist jedenfalls zu wünschen, dass in ihr Religionsfreiheit sichtbar wird. Die Buntheit der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schülerinnen und Schüler, ob mit einem Kreuz, mit Kopftuch, Turban oder Kippa, darf auch für alle sichtbar werden. Es gelten für alle die gleichen Rechte und Pflichten und der Gesetzgeber hat die demokratischen und schulrechtlichen Spielregeln festgelegt, die ohnehin für alle in gleicher Weise Gültigkeit besitzen. Ein religionsfreundlicher säkularer Staat tritt für Toleranz gegenüber allen Religionen und Gläubigen ein und bekämpft sie nicht. Zum Glück gibt es an österreichischen Schulen einen Religionsunterricht, wo über diese Fragen auch informiert und diskutiert werden kann, damit sich Schülerinnen und Schüler ihre eigene Meinung bilden können und so den rechtspopulistischen Sprücheklopfern und islamophoben Grundstimmungen begegnen können.

8        Authentische und innere Religiosität einerseits und äußere Wirklichkeiten

Mit Blick auf die äußeren Symbole von Religiosität braucht es immer wieder den relativierenden Blick, dass es letztlich immer Äußerlichkeiten sind, die einer inneren Grundhaltung und einer Praxis entsprechen müssen. Äußere Symbole wie Kreuz oder Kopftuch ohne entsprechenden gläubigen Vollzug können letztlich zu einem bloßen Modeschmuck verkommen oder aber auch zur Lüge. Man gibt vor, etwas zu sein, was nicht der religiösen Wirklichkeit entspricht. Wer mit dem Zeichen des Kreuzes Krieg führt und Gewalttaten begeht, verrät die Wirklichkeit des Kreuzes. Wer aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt und in ihrem Herzen aber Groll und Feindschaft gegen andere Menschen pflegt, verrät das Wesen des Islams als Religion der Barmherzigkeit und Liebe. Wer, wie Donald Trump es tat, sogar auf zwei Bibeln den Amtseid ablegt, dann aber zugleich einer massiven militärischen Aufrüstung einerseits und einer Kürzung in den Sozialprogrammen andererseits das Wort redet, muss sich wohl die scharfen Worte aus der Bibel, sei es aus den Prophetenbüchen oder den Worten Jesu, gefallen lassen: „Wehe euch, ihr Scheinheiligen … Ihr verzehntet Minze und Dill und Kümmel und habt das preisgegeben, was in der Tora mehr Gewicht hat: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Vertrauen.“ (Mt 23,23) Was die Propheten des Alten Bundes und Jesus immer wieder kritisieren, ist eine reine Veräußerlichung von Religion. So lautet ein Jesuswort: „Ihr reinigt Becher und Schüssel von außen, doch innen sind sie mit Raub und Gier gefüllt.“ (Mt 23,25)

 

Klaus Heidegger, 21. November 2018

[1] Vgl. Seddiqzai Mansur (2018): Kopftuch: Wie freiwillig ist die Entscheidung?, in:

www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-03/kopftuch-islam-frauen-freiheit-unterdrueckung-zukunft, abgerufen am 9.4.2018.

[2][2]Vgl. Kücükgöl Dudu (2017): Kopftuch-Debatten oder: „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in: http://www.dasbiber.at/blog/kopftuch-debatten-oder-und-taeglich-gruesst-das-murmeltier, abgerufen am 8.1.2017.

[3] Vgl. dazu: Heidegger Klaus (2016): Das Kreuz mit dem Kreuz in den Klassenzimmern, in: http://www.klaus-heidegger.at/?p=2467, abgerufen am 8.1.2017.

[4] Vgl. http://diepresse.com/home/innenpolitik/5149817/Integrationsexperte-will-KopftuchVerbot-fuer-Staatsdiener, abgerufen am 25.1.2017.

[5] Vgl. http://derstandard.at/2000050316523/Kurz-fuer-Kopftuchverbot-im-oeffentlichen-Dienst, abgerufen am 7.1.2017.

[6]Zit.in: Salzburger Nachrichten, 7.1.2017,2.

[7] Zit.in: KURIER, 6.1.2017.

[8] Zit.in: Tiroler Tageszeitung, 7.1.2017, 11.

[9] Vgl. KURIER, 8.1.2017.

[10] Ebd. Innerhalb des Justizministeriums gibt es allerdings eine Arbeitsgruppe, die der Argumentation des Justizministers widerspricht. Das Ergebnis: „Eine Differenzierung zwischen Symbolen verschiedener Religionen ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.“ Dazu Sabine Mageijka, Vizepräsidentin der österreichischen Richtervereinigung: „Entweder man verbietet religiöse und weltanschauliche Symbole bei Richtern und im Gerichtssaal, oder man lässt alle zu.“ Zit. in: Ebd.

[11] http://religion.orf.at/stories/2774694/, abgerufen am 7.1.2017.

[12] In: Tiroler Tageszeitung,

[13] Moser Moritz (2017): Kurz geht es nicht um Säkularität, in: http://religion.orf.at/stories/2774694/, abgerufen am 7.1.2017.

[14] Friedrich Otto (2017): Zurück an den Start, in: Die Furche, 12.1.2017,1.

[15] Vgl. dazu den Bericht in: DER STANDARD, 18.1.2017.

[16] Vgl. dazu: Potz Richard, Schinkele Brigitte (2017): Kopftuch und Kreuz im Klassenzimmer, in: DIE FURCHE, 19.1.2017, 14.

[17] https://www.facebook.com/wolfgang.palaver?fref=ts, 7.1.2017.

[18] http://derstandard.at/2000050375442/Oberrabbiner-und-Imam-krtisieren-OeVP-Forderung-nach-Kopftuchverbot, abgerufen am 9.1.2017.

[19] In: Kurier, 8.4.2018.

[20] Vgl. dazu die Position von einem jener Islam-Experten, den ich besonders schätze und in allen Fragen des Islams zu Rate ziehe: http://www.stadtgefluester-muenster.de/interview/mouhanad-khorchide/, abgerufen am 8.1.2017.

[21] Ebd.

[22] Vgl. Khorchide Mouhanad (2012): Islam ist Barmherzigkeit: Grundzüge einer modernen Religion, Herder: Freiburg i. Br. Khorchide weist beispielsweise daraufhin, dass von den 114 Suren im Koran 113 mit der Formel „Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allerbarmers“ beginnen. Er beschreibt den koranischen Gott als liebenden Gott und die  Beziehung zwischen Gott und Mensch als eine Liebesbeziehung ähnlich wie die zwischen einer Mutter und ihrem Kind.

[23] Khorchide Mouhanad (2018): Und was sagen die betroffenen Kinder dazu, in: Der Standard, 8. April 2018.

[24] Moser Maria Katharina (2017): Religion, sie gehört in die Öffentlichkeit!, in: DER STANDARD, 17.1.2017, 27.

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