Zur Diskussion über die künftige Gestaltung von Ethik- bzw. Religionsunterricht

Eine Antwort auf den Leserbrief von Roman Spiss in der Tiroler Tageszeitung vom 10.2.2019

1.) Gefährdung der Jobs von Religionslehrerinnen und Religionslehrern?

Der Leserbrief wird übertitelt mit der Überschrift „Was geschieht mit den zahlreichen Religionslehrern?“ Schon dieser Titel suggeriert, dass die Religionslehrerexistenz – unterstrichen durch das Adjektiv „zahlreich“ – auf dem Spiel stünde. Mit relativ abwertender Formulierung schreibt Roman Spiss, der sich mit doppeltem Doktorat und als „langjähriger Ethiklehrer und in der LehrerInnenausbildung tätig“ als kompetent ausweist, mit Bezug auf meinen Beitrag für einen gemeinsamen Religionen- und Ethikunterricht, „was man mit den zahlreichen überzählig werdenden ReligionslehrerInnen zu tun gedenkt“. Ein gewisser Zynismus liegt jedenfalls in dieser Formulierung. Leider hat Roman Spiss nicht alle Konzepte dazu gelesen, sonst wüsste er, dass es dazu schon ein intensives Nachdenken gegeben hat. Ja, ich teile auch die Sorge um die Jobs der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, deren Existenz aber eben nicht gefährdet wäre durch einen gemeinsamen Religionen- und Ethikunterricht, sondern durch eine Zweigleisigkeit von verpflichtendem Ethikunterricht einerseits und einem vielfach aufgesplitterten konfessionellen Unterricht andererseits. Darüber habe ich bereits viele Beiträge geschrieben. [1] Es sei hier also nochmals festgehalten, was in meinem TT-Beitrag auch ausdrücklich formuliert wurde: Religionslehrerinnen und Religionslehrer sind erstens aufgrund ihrer Ausbildung, die freilich noch mit einer entsprechenden Fort- und Weiterbildung mit interreligiös-ethischen Schwerpunkten verknüpft werden müsste, geeignete Lehrpersonen für dieses gemeinsame Fach Religionen- und Ethikunterricht. Dieses wäre zweistündig – während vielerorts der konfessionelle Religionsunterricht nur mehr einstündig stattfindet. Damit würde automatisch das Stundenausmaß erhöht. Es ist auch widersinnig, wenn etwa die NEOS behaupten, Religionslehrer seien keine Fachkräfte für einen Unterricht mit ethischen Schwerpunkten. Diese Behauptung bekommt immer dann neue Nahrung, wenn Religion und Ethik als zwei voneinander getrennte Wirklichkeiten behauptet werden. Das macht leider auch Roman Spiss in seinem Leserbrief. Zweitens würde auch der konfessionelle Unterricht im Sinne eines freiwilligen Gegenstandes nicht abgeschafft, sondern hätte weiterhin einen Platz im Unterrichtsalltag. In idealer Weise würde der gemeinsame Religionen- und Ethikunterricht es unterstützen, wenn Schülerinnen und Schüler in diesem freiwilligen Unterricht ihre konfessionsspezifische Bildung noch erhalten könnten. Auf zweifache Weise läge also in diesem Modell die Lösung für die oben genannte Frage, ob Religionslehrerjobs bedroht wären. Es ist daher nicht richtig, dass das von mir skizzierte Modell Religionslehrer infrage stellen würde. Als Vertreter der Berufsgemeinschaft der Religionslehrerinnen und Religionslehrer an den AHS der Diözese Innsbruck wäre es auch unverantwortlich, ein Modell zu vertreten, das den Interessen der Religionslehrerinnen und Religionslehrer widerspricht.

2.) Das „stringente“ Konzept der NEOS?

Roman Spiss betitelt das Konzept der NEOS, das den verpflichtenden Ethikunterricht für alle einführen möchte bei gleichzeitiger Abschaffung des konfessionellen Unterrichts, als „stringent“. Aus der Bildungssprache übersetzt bedeutet es, dass für Roman Spiss das NEOS-Konzept überzeugend, glaubwürdig, in sich logisch ist. Verbunden mit dieser Wertung ist der implizite Hinweis, dass das Konzept eines gemeinsamen Religionen- und Ethikunterrichtes eben nicht stringent, eben nicht logisch und in sich schlüssig sei. Doch ist das NEOS-Konzept tatsächlich bei genauerem Hinsehen „stringent“?

Die NEOS haben auf ihre Fahne die strikte Trennung von Religion und Staat geschrieben und meinen dies, mit einer Trennung von Religion und Ethik umsetzen zu können. Sie kritisieren Religion, die nicht mit Aufklärung verbunden ist, und würden es mit ihrem Religion-raus-aus-der-Schule-Ruf verhindern, dass über die Religionen in den Schulen geredet wird, was immer auch bedeuten würde, den Fundamentalismen vorzubeugen und an einem aufgeklärten Verständnis von Religionen zu arbeiten. Die NEOS treten für Integration und Inklusion ein und haben selbst mit ihrem reinen Ethikunterricht ein Modell parat, das ein interreligiöses Lernen im Unterschied zu einem gemeinsamen Religionen- und Ethikunterricht nicht fördern würde.

3.) Die primäre Frage muss lauten: Was dient der religiös-ethischen Bildung der Schülerinnen und Schüler am besten?

Der wichtigste Blickwinkel in dieser ganzen Diskussion kommt im Leserbrief von Roman Spiss nicht vor. Dies ist mein Ausgangspunkt. So berechtigt es ist, die Interessen der Religionslehrerinnen und Religionslehrer sowie der Religionsgemeinschaften mitzuberücksichtigen, so dürfen diese Interessen doch nie an erster Stelle stehen. Meine Argumente für einen gemeinsamen Religionen- und Ethikunterricht setzen bei den Schülerinnen und Schülern an. Ich erfahre täglich neu eine Schulsituation, in der die Trennungen entlang der Konfessionslinien im Rahmen des Religionsunterrichtes oder auch in Religion und Ethik den bildungspolitischen Zielen einer grundlegenden religiös-ethischen Bildung nicht förderlich sind bzw. diesen widersprechen.

4.) Sollen Ethik und Religion getrennt werden?

Schließlich bringt Roman Spiss nochmals die Behauptung auf, dass Religion und Ethik sehr wohl trennbar seien. In gewisser Weise stimmt es. Rein theoretisch kann ich einen Ethikunterricht ohne Bezug auf Religion machen. Tatsächlich jedoch ist Religion, die sich nicht fundiert mit ethischen Fragestellungen auseinander setzt, nicht wünschenswert und führt meist in Fundamentalismen; tatsächlich sind ethische Fragestellungen immer auch mit der Auseinandersetzung mit religiösen Glaubenssystemen verbunden. Pädagogisch wäre es jedenfalls nicht sinnvoll, so habe ich immer wieder argumentiert, wenn beide Bereiche noch mehr auseinander gerissen würden, anstatt sie zusammen zu denken.

Klaus Heidegger, 10. Februar 2019

[1] Vgl. dazu u.a.: Heidegger Klaus (2019): Ethik und Religion, Religion oder Ethik?, in:  http://www.klaus-heidegger.at/?p=3793; Heidegger Klaus (2017): Religionsunterricht in multireligiöser Wirklichkeit, in: Bair Johann, Rees Wilhelm (Hg.) (2017): Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog, Innsbruck: innsbruck university press; Heidegger Klaus (2014): Interkonfessionelle und interreligiöse Grenzüberschreitungen : Ein Religionsunterricht für alle, in: Was der Religionspädagogik zu denken gibt, Jg. 22 (2014), H. 1: S. 65-73; Universitätsbibliothek Graz; Heidegger Klaus (2009): Lebendiges interreligiöses und ökumenisches Lernen im Religionsunterricht. Erfahrungen, Begrüundungen und Rahmenbedingungen aus der Perspektive der Kommunikativen Theologie – eine Fallstudie am Beispiel des Privaten Oberstufenrealgymnasiums St. Karl Volders, Master-Thesis und Lizenziatsarbeit, Universität Innsbruck.