Schutzimpfung gegen Covid-19: Ein notwendiger ethischer Diskurs

Laut Bildungsauftrag der österreichischen Schulen soll faktenorientiert über politisch-ethische Grundthemen mit Schüler*innen gearbeitet werden. Auch eine Auseinandersetzung über die Covid-Schutzimpfung zählt dazu. Verschiedene Kompetenzbereiche werden dabei gestärkt. Es geht um ein wissenschaftlich fundiertes Wissen genauso wie um eine kritische Auseinandersetzung mit den Sozialen Medien. Vor allem aber sollten Schüler*innen immer auch lernen, selbst Stellung zu beziehen.

Der Bereich Gesundheit – und damit der Themenbereich rund um die Covid-Pandemie – zählt zu einem der 17 SDGs, für deren Umsetzung sich die Republik Österreich gemeinsam mit allen Staaten der Vereinten Nationen verpflichtet hat. Dabei geht es immer auch um Politische Bildung.

Die Auseinandersetzung mit der Covid-Pandemie und den Fragen nach der Schutzimpfung geschieht in der Schule am besten fächerübergreifend. Sie betrifft Religion/Ethik, wenn über moralische Pflicht und soziale Verantwortlichkeit geredet wird; sie betrifft Biologie, wenn es um die medizinischen Grundkenntnisse einer Covid-Erkrankung geht; sie betrifft Politische Bildung in der Frage, welche Rolle der Staat in Pandemie-Zeiten zu erfüllen hat und wie die Freiheitsrechte von Menschen auch eingeschränkt werden können; sie betrifft Geographie und Wirtschaftskunde, wenn es um die wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie-Bekämpfung geht oder die ungerechten Voraussetzungen in der weltweiten Verteilung der Impfstoffe. Es ist das Recht der Schülerinnen und Schüler, über diese Grundfragen zu arbeiten bzw. die Pflicht der Lehrenden, dafür Raum zu geben.

Der ethische Diskurs darüber findet auch im Religionsunterricht statt. So haben sich Kirchen und Theologinnen und Theologen immer deutlich für eine Covid-19-Schutzimpfung ausgesprochen. Symbol dafür war die Impfkampagne im Stephansdom bzw. in einer Moschee in Wien.

Als Diskussionsanregung für den Unterricht sind die folgenden Thesen zu sehen, die den „alternativen Fakten“ (Behauptungen) entgegnen wollen, die vielfach die Grundlage einer Impfskepsis sind.

  1. Die Corona-Statistiken sind nicht gefälscht. Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, dass bewusst Menschen, die wegen einer anderen Krankheit als Covid gestorben sind, als Corona-Tote geführt würden und deswegen sogar Menschen bestochen worden seien, um solche Falschaussagen zu machen. Die angeblichen Corona-Lüge-Prämien sind erfunden und ohne jeglichen Beweis. Sie sind längst widerlegter Teil von Verschwörungstheorien. In Österreich sind von Beginn der Pandemie an bis Ende September 2021 11.082 Menschen an Covid gestorben.
  2. Die Covid-19-Schutzimpfung ist hoch wirksam. In den Intensivstationen und Krankenhäusern liegen vorwiegend Ungeimpfte. Statistisch gesehen erkranken von 1000 Geimpften nur 2 an Covid. Wer geimpft ist und dennoch an Covid erkrankt, hat zudem meist nur einen sehr schwachen Krankheitsverlauf. Ausgenommen von dieser Tatsache sind nur seltene Fälle mit einer bestimmten Vorerkrankung. Länder mit einer niederen Impfquote – wie Bulgarien – haben besonders viele Corona-Tote.
  3. Die Impfstoffe sind wissenschaftlich-medizinisch genau untersucht. Das Zulassungsverfahren konnte diesmal viel rascher aufgrund der neuen technologisch-medizinischen Voraussetzungen erfolgen. Spätfolgen sind nicht zu befürchten. Die Gefahr jedoch, ungeimpft an Covid zu erkranken und einen schweren Krankheitsverlauf zu bekommen, ist sehr hoch. Ist jemand geimpft, kann sich das Virus maximal in den oberen Atemwegen festsetzen, schafft es aber nicht, in die Lunge vorzudringen. Bei einer Covid-Ansteckung haben die Geimpften eher Schnupfen, Kopfschmerzen, Heiserkeit – wenn überhaupt. Das Risiko, das mit einer Covid-Erkrankung verbunden wäre, ist unvergleichlich höher als mögliche Nebenwirkungen nach einer Impfung. Die Behauptung, eine Impfung mache unfruchtbar, ist falsch. Hingegen kann eine Covid-Erkrankung bei Schwangeren einen sehr schweren Verlauf haben. Völlig falsch ist die Behauptung, dass eine Impfung die DNA, also das Erbgut von Menschen, verändere. Mit der menschlichen DNA kommt der Impfstoff überhaupt nicht in Kontakt.
  4. Eine hohe Durchimpfungsrate wird helfen, die Pandemie zu stoppen. Dadurch können sich auch weniger leicht schwere Mutanten bilden. Es entspricht daher auch einer sozialen Verantwortlichkeit, wenn sich möglichst viele impfen lassen. Dadurch wird schneller die notwendige Herdenimmunität erreicht. Wir können daher auch von einer moralischen Pflicht sprechen, sich impfen zu lassen. Moralische Pflicht ist jedoch nicht zu verwechseln mit einer Rechtspflicht. Wer sich impfen lässt, schützt vor allem auch jene, die Immunschwächen haben oder sich wegen solcher Voraussetzungen selbst nicht impfen lassen können.
  5. Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern leistet einen gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlich positiven Beitrag. Das Gesundheitssystem würde ohne Covid-Schutzmaßnahmen und Impfstrategien zusammenbrechen.
  6. Auch junge Menschen können schwer an Covid erkranken! Deswegen ist eine Impfung der 12-16-Jährigen sinnvoll. Dies kann wesentlich dazu beitragen, dass Schulen nicht wieder geschlossen werden bzw. dass bestimmte Covid-Schutzmaßnahmen wie Maskentragen oder oftmaliges Testen nicht mehr zum Alltag zählen.
  7. Verschwörungsmythen sind gefährlich für die Gesellschaft. Sie untergraben mit Lügengeschichten den für eine Demokratie notwendigen Grundkonsens in der Gesellschaft.
  8. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ORF) lügt nicht in Sachen von Corona-Fakten. Hingegen sind Meldungen in den Sozialen Medien kritisch zu überprüfen. Oft werden dort in den impfkritischen Foren Fakten aus dem Zusammenhang gerissen oder verdreht. Alternative Fakten bzw. Verschwörungstheorien werden geschaffen.
  9. Der Staat und die Behörden haben den Auftrag, die Gesellschaft zu schützen. Verordnungen bzw. Gesetze zur Bekämpfung der Pandemie sind nicht als Widerspruch zu den Freiheitsrechten der Menschen zu sehen. Es ist gefährlich, wenn die Grundlagen des Staates leichtfertig in Frage gestellt werden und Misstrauen gegenüber politisch Verantwortlichen ungerechtfertigt geweckt wird. Es gibt kein Grundrecht, die Gesundheit von anderen Menschen willkürlich zu gefährden.
  10. Eine faktenbasierte Argumentation ist notwendig! Fakten, die außer Streit stehen, sind zu akzeptieren und gelten als Entscheidungsgrundlage. Wenn es über diese Fakten kein Verständnis mehr gibt, wenn Falschinformationen (Fake News) in Umlauf gebracht werden oder weitergegeben werden, dann ist dies demokratiegefährdend. Gerüchte und Mundpropaganda – beispielsweise über schwere Nebenwirkungen bei Covid-Impfungen – sind kritisch zu hinterfragen.
  11. Die Covid-19-Schutzimpfung ist nicht die einzige Maßnahme, um sich und andere vor Infektionen zu schützen. Weiterhin gilt es, die bekannten Hygiene-Maßnahmen einzuhalten und auch eine MNS-Maske ist in vielen Fällen weiterhin angebracht.
  12. Die Freiheitsrechte von Menschen sind ein hohes Gut. Zugleich gilt: Die Freiheit des einen darf nicht in die Unfreiheit des anderen münden. Ein weiterer Lockdown aufgrund fehlender Impfbereitschaft würde bedeuten: Geschlossene Schulen, verschobene OPs, fehlende Intensivbetten, Einsamkeit durch Kontaktbeschränkungen. Daher gilt eine moralische Impflicht.

Klaus Heidegger, 5.10. 2021

Zur Diskussion gestellt: Die folgenden Thesen eignen sich gut für ein „Ja-Nein-Aufstellung“ mit Zwischenräumen. Auf der einen Seite steht das JA, auf der anderen das NEIN. Schüler*innen können sich entsprechend aufstellen und Position beziehen – ihren Standpunkt begründen. Dieser kann sich im Laufe der Stunde auch immer verändern.

Nimm Position – begründe – warum hast du dich so positioniert?

Ist es eine moralische Pflicht, sich schnellstmöglich gegen Corona impfen zu lassen?

Vertraut ihr den Zulassungskriterien für den Corona-Impfstoff?

Ist es richtig, dass zukünftig Menschen wegen fehlender Impfung auch Nachteile in Kauf nehmen müssen.

Brauchen wir eine gesetzliche Impfpflicht?

Braucht es eine Impflicht für bestimmte Berufsgruppen? (Krankenpflege, …)