Nikolaus, der Brückenbauer im Advent

Bischof von Myra
er bestraft nicht die Bösen
er hilft zu verändern
damit kein Herz werde zu Stein

Bischof von Myra
er bekräftigt in täglichem Tun
er bestärkt was gut in uns ist
damit die Welt werde verwandelt

Bischof von Myra
er blickt auf die Kinder
er nimmt sie in Schutz
damit nie wieder Gewalt sie erleiden

Bischof von Myra
er ermutigt zum Teilen
er vermehrt so das Korn
damit niemand leidet an Hunger

Bischof von Myra
er rettet die Ertrinkenden
er löst die Gefangenen
damit alle leben in Freiheit

steinerne Herzen werden erweicht
flüchtende Menschen in Seenot gerettet
Gefangene aus Kerkern befreit
drei goldene Kugeln erlösen mit himmlischen Kräften

Klaus Heidegger, zum Nikolaustag 2021

Der Heilige von Myra

Viele Jahre bin ich in meinem Heimatdorf als Nikolaus unterwegs gewesen, auf der Kutsche durch das Dorf ziehend mit Engeln auf meinem Wagen oder bei den Hausbesuchen. Jedes Jahr wieder bin ich mit Ehrfurcht in die meist zu großen Klamotten des Nikolaus gestiegen, habe mir Mitra aufgesetzt, das Bischofsgewand übergestreift, den Krummstab genommen und bin mit meinen Engeln losgezogen. Immer dabei hatte ich  auch drei golden glänzende Kugeln. Jedes Jahr wieder bedeutete es für mich auch, mich auf diese große Gestalt der Christenheit einzulassen. Je nach Situation überlegte ich mir dann meist spontan, welche der Legenden ich bei meinen Hausbesuchen kurz erzählen wollte.

Den Erwachsenen würde ich manche Legende anders erzählen.

Ich würde von der sexuellen Gewalt sprechen, der die Mädchen des armen Mannes ausgesetzt waren. Da passt es, dass das Nikolausfest genau in die Tage fällt, wo die weltweite Aktion gegen sexuelle Gewalt, Orange the World, stattfindet. Jede 3. Frau, so wird heute gesagt, erlebt irgendwann in ihrem Leben eine Form sexueller Gewalt.

Ich würde nicht nur davon erzählen, dass Nikolaus Schiffbrüchige vor seiner Hafenstadt rettete, sondern auch von den Flüchtlingen, die heute auf der Flucht ertrinken, weil die Nikoläuse nicht die Asylpolitik Europas bestimmen. Kaum eine Woche ist es her, seit im Ärmelkanal Flüchtende auf der Überfahrt ertranken.

Ich würde davon erzählen, dass das Korn nicht weniger wird, wenn wir es nur teilen würden. Das hieße wirtschaftspolitisch: Den Reichtum und auch die Arbeitszeit gerecht verteilen – dann würde es ein gutes Leben für alle geben. Dann würde mit Immobilien nicht mehr spekuliert, sondern sie dienten den Menschen, die dringend einen leistbaren Wohnraum suchen.

Ich würde die Legende vom steinernen Herzen benützen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die enormen Unterschiede zwischen Reichen und Armen hierzulande und vor allem mit Blick auf den reichen Norden und den Ländern des globalen Südens zunehmend größer werden.

Ich würde auch darauf aufmerksam machen, dass der Weihnachtsmann als Nikolausmutant unterwegs ist und in vieler Hinsicht mehr mit dem Kommerz als mit dem Bischof von Myra zu tun hat.

Klaus Heidegger