Fakten gegen wüste Beschimpfungen und Beleidigungen: zur Aktionswoche der Letzten Generation in Innsbruck

Not-wendende Störungen

In „Guten Morgen Tirol“ heißt es um 7.04 morgens an diesem Mittwoch, 14. Juni 2023: „Man sieht, dass der Verkehr zunimmt, vor allem um Innsbruck … dichter Verkehr auf der A12 Richtung Ost – aber Meldungen über Störungen liegen nicht vor.“ Eine halbe Stunde später meldet der ORF-Verkehrsfunk: „… die Kranebitter Allee ist in beiden Fahrtrichtungen gesperrt … und gesperrt in beide Richtungen ist deswegen auch die Völser Straße … auf der A12 von Innsbruck Richtung Bregenz messen die Verkehrssensoren 20 Minuten mehr Fahrzeit …“ Die ORF-Regie beweist Originalität und spielt nach dieser Ankündigung den leicht schmalzigen Song von Nino de Angelo „… wenn wir nicht fühlen die Erde, sie weint wie kein anderer Planet, dann haben wir umsonst gelebt …“ Mag sein, dass dieser Song beruhigend wirkt auf die Autofahrenden, die nun im Stau stecken. Die gewohnte Normalität von Massenverkehr an einem Morgen rund um Innsbruck ist jedenfalls zum dritten Mal in dieser Woche gestört. Ich denke an die Aussage von Antonio Gutierrez: „Wir brauchen Störung, um die Zerstörung zu beenden. 2023 ist ein Jahr der Abrechnung. Es muss ein Jahr sein, in dem sich das Klima grundlegend ändert.”  Die Aktivistinnen und Aktivisten sind für ihren gewaltfreien Einsatz vorbereitet. Es geht immer sehr schnell und der Ablauf ist gut geübt: Ampel für den Übergang am Zebrastreifen ist auf grün; die schwarz-markanten Transparente mit dem Löwenzahnlogo der Letzten Generation und der Forderung nach weiteren Temporeduktionen werden vor dem Zebrastreifen auf der Fahrbahn entrollt; mit ihren orangen Warnjacken stehen die Aktivistinnen und Aktivisten nun vor den Autos, deren Besitzer:innen zunächst mit einer Huperei reagieren; eine Rettungsgassenbildung ist jederzeit möglich; Busse und Straßenbahnen – sowie etwaige Einsatzfahrzeuge – werden nicht behindert. Die Polizei reagiert wiederum äußerst besonnen und zurückhaltend. Gestern dauerte es zwei Stunden, bis die Versammlung „aufgelöst“ worden ist, nachdem zuerst die Daten aufgenommen worden sind. Es scheint, dass der Schutz der Aktivistinnen und Aktivisten vor wütenden Autofahrer:innen am wichtigsten ist. Bei der gestrigen Aktion fuhr beispielsweise ein Straßenreinigungsfahrzeug mit eingeschalteter Wassersprühung knapp an der festgeklebten Hand einer Aktivistin vorbei. „Schießt sie mit Wasserwerfern weg!“, rief ein Autofahrer bösartig.  

Vom Recht auf zivilen Widerstand

Die Aktionen sind mehrfach widerständisch: Die rechtliche Definition ist „Kundgebung“. Solche sind allerdings genehmigungspflichtig – und für eine Blockade von so wichtigen Einfahrtsstraßen würde es wohl keine Genehmigung geben. Eine Solidaritätsgruppe bildet sich jeweils im Hintergrund der Klebenden. Heute halte ich das Transparent der „Scientists for Future“, deren Mitglieder sich immer wieder in der Solidaritätsgruppe finden. „Die Fakten sind klar. Es ist Zeit zu handeln.“, steht auf dem Banner. Wir in der Solidaritätsgruppe müssen mit keinen Anzeigen rechnen.

Verbale Gewalt populistischer Medien und ihre Resonanz in den Parteien

Ein Blick in manche Medien zeigt, wie gegen die Aktionen der LG gehetzt wird. „Heute“ scheibt von den „Klima-Chaoten“. Wieder und wieder wird berichtet, dass die LG „richtig im Geld schwimmt“. Der Innsbrucker Abgeordnete zum Gemeinderat, Depaoli, von der Fraktion „Gerechtes Innsbruck“ hüpft empört herum, weil er sich wohl als selbsternannter Autofahreranwalt Innsbrucks ein härteres Vorgehen der Polizei erwartet. Zwischendrin bin ich froh, dass der Rechtsstaat eine unabhängige Justiz hat, die sich nicht von Parteien instrumentalisieren lässt, sowie einen grünen Bürgermeister, der sich auch nicht von populistischen Stimmungen beeindrucken lässt. ÖVP und SPÖ nähern sich in ihrer Diktion nun mehr der Abwerzger-FPÖ an. Der FP-Tirol-Chef möchte zumindest verbal die „Fanatiker“ – so seine Bezeichnung für die LG – mit drastischen Strafen kriminalisieren und ordnet die ganze Materie dem Bereich der Terrorismusbekämpfung zu.

Terror ist etwas anderes!

Durch meine öffentlichen Stellungnahmen wurde ich selbst als „Klimaterrorist“ bezeichnet. Ein wütender Schreiber behauptet, dass die Mitglieder der Letzten Generation „Leute terrorisieren“. Im Rahmen der politischen Bildung an den Schulen könnten meine Schülerinnen und Schüler genau anhand von Kriterien benennen, was Terrorismus ist.
Bei Terror ist man bereit, Gewalt anzuwenden. Die Aktionen der LG sind aber stets absolut gewaltfrei. Dazu gibt es auch die nötigen Trainings.
Bei Terror wird daher aus dem Hinterhalt agiert und man gibt seine Identität nicht preis. Die Aktivistinnen und Aktivisten der LG stehen offen zu ihren Kundgebungen. Sie verstecken sich nicht. Die Öffentlichkeit wird bewusst gesucht.
Terror richtet sich gegen den Rechtsstaat. Die Aktionen der LG hingegen mahnen Rechte und Gesetze ein und beziehen sich u.a. dabei auf den Klimanotstand bzw. entsprechende Maßnahmen, zu denen die politisch Verantwortlichen aufgrund der Erderhitzung verpflichtet wären.
Terror versucht die Bevölkerung einzuschüchtern, indem Angst verbreitet wird. Wer auf der Straße klebt, macht nicht Angst, auch wenn es für manche in einer bestimmten Situation nervig sein mag – so nervig, wie Autofahrende rund um Innsbruck fast täglich auch ohne LG ständig in einem Stau stecken. Angst macht mir freilich so manche Reaktion von Menschen, die sich von den Klebeaktionen gestört fühlen. In ihren Wortmeldungen steckt oft viel Gewalt. Da wird dann gebrüllt: „Fahrt sie über den Haufn!“ „Setzt die Waffenwerfer ein“ „Wenn die Bullen nicht da wären, würde ich sie alle zusammenschlagen“.
Terror muss durch Justiz und Polizei verfolgt werden. Gerichte und Staatsanwaltschaften stehen jedoch als unabhängige Instanzen auf dem Standpunkt, dass es sich bei der LG nicht um eine „kriminelle Vereinigung“ handelt.

Weltblick
BBC-News berichtet am gleichen Tag, dass sich das Meer an der Küste Frankreichs um 4 Grad gegenüber früheren Durchschnittstemperaturen erwärmt hat. In Kanada haben Waldbrände – auch Folge des Klimawandels – bereits Hunderttausende Hektar Wald vernichtet. Die Zahl der Klimaflüchtlinge aus Afrika steigt sprunghaft an. Sind die Kipppunkte bereits erreicht?


Klaus Heidegger

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