Aus der Welt von bröckelnden Bergen und schmelzenden Gletschern

Anfang Mai wollten wir als eine Gruppe des Alpenvereins Hall die Skitourensaison auf der Jamtalhütte mit Touren auf Dreitausender in dieser Gegend ausklingen lassen. Das Fluchthorn – bzw. besser gesagt die Fluchthörner – hätten uns drei Tage mit ihren markanten schroffen Gipfeln begleitet. Sowohl die Lawinensituation als auch das Wetter verhinderten unsere Pläne. Der vergangene Winter fühlte sich für jemanden, der zu jeder Jahreszeit viel in den Bergen unterwegs ist, wieder anders an. Bis in den März hinein war es nicht ratsam, einige klassischen Skitourenberge zu besteigen. Es gab einfach viel zu wenig Schnee. Bei der Ski-Durchquerung der Dolomiten im vergangenen Februar waren die zu befahrenden Rinnen wegen des fehlenden Schnees pickelhart. Dafür konnten wir problemlos auf Gipfel steigen, deren Grate oft schneefrei wie im Sommer waren. Vor einer Woche war ich wieder mit dem Rennrad am Kaunertaler Gletscher. In der Früh hatte es auf 2800 Meter plus 6 Grad. Die verbliebenen Schneereste waren bis auf den Grund durchweicht. An Firn war nicht zu denken. In der früher eis- und schneebedeckten Nordwand der Weißsseepitze waren braune Rutscher. Der Gepatschferner lag mit seiner Zunge weit hinten – so als müsste er sich wegen der warmen Temperaturen zurückziehen. Gegenüber waren die Hangrutschungen auf den mir so bekannten heimatlichen Dreitausendern des Kaunertales zu sehen. Bereits vor zehn Jahren gab es auf der nahen Bliggspitze einen gewaltigen Bergsturz. Solche Ereignisse häufen sich inzwischen. Der Klimawandel mit den hohen Temperaturen in alpinen Regionen bewirkt, dass die Gletscher rapide schmelzen und der Permafrost auftaut. Bei den Bergtouren in den Gletscherregionen des Stubais im vergangenen Sommer hörten wir immer wieder, wie sich große Steine donnernd aus den Felswänden lösten. Besonders tragisch war Anfang vom letzten Sommer der Abbruch auf der Marmolata. Und nun ist die Spitze vom südlichen Fluchthorn – bzw. Piz Fenga auf Rätoromanisch – um 100 Meter kleiner. Es tritt vermehrt ein, wovor Klimaforschende schon längst warnen: Die Erderhitzung führt zu einem Auftauen des Permafrostes oberhalb von 2500 Metern. Gesteinsschichten werden dadurch nicht mehr zusammengehalten und brechen ab. Ortswechsel einen Tag nach dem Bergsturz im Jamtal. Die Aktionswoche der Letzten Generation in Innsbruck beginnt frühmorgens. Noch nie war es beim Morgenverkehr am Anfang einer neuen Arbeitswoche an den östlichen Einfahrtsstraßen nach Innsbruck so ruhig. Normalerweise ist hier Kolonnenverkehr. In der Solidaritätsgruppe für die Blockierenden finden sich auch Wissenschaftler:innen der Gruppe Scientists for Future. Sie können mit Daten exakt belegen, was ich gefühlt im Gebirge wahrnehme. Sie sprechen von den Kipppunkten. Als Bergsteiger kann ich nicht anders, als zugleich Klimaaktivist zu sein. Und es ginge so einfach: Zunächst einmal – Tempo 30/80/100 einführen. Den marktschreierischen Populisten gefallen solche Forderungen freilich nicht. Gegenüber der Blockadestelle ist eine Tankstelle. Die Preise für die Treibstoffe sind inzwischen durchschnittlich um mehr als 50 Cent wieder günstiger als noch vor einem Jahr. Gibt es doch keine CO-2-Bepreisung? Im nahen Supermarkt kosten die chinesischen Knoblauchzehen um die Hälfte weniger als jene aus niederösterreichischer Bio-Produktion. In der Tageszeitung strahlt der Chef vom Innsbrucker Flughafen glücklich aus der Zeitung, weil die Flugbewegungen zugenommen haben. Menschen aus kirchlichen Bereichen ticken allerdings anders: Eine Tertiarschwester aus Hall ist mit ihrer Ordenstracht bei den Aktionen der Letzten Generation von Beginn an dabei. Am Mittwoch findet eine öffentliche Veranstaltung dieser Gruppe in den Räumlichkeiten der Evangelischen Kirche von Innsbruck statt. Und wenn in Graz bei der Fronleichnamsprozession eine Schöpfungsfahne begleitet von Mitgliedern der Letzten Generation mitgetragen wurde, wenn die Katholische Aktion der Erzdiözese Wien sich an der Demonstration gegen den Bau der Ostumfahrung beteiligt, dann sind das so deutliche Zeichen dafür, wie sich kirchliche Gruppierungen angesichts des Klimawandels positionieren. Nicht nur als Einzelperson, sondern auch als Vorsitzender der Katholischen Aktion meiner Diözese werde ich jedenfalls wieder in der Solidaritätsgruppe der Letzten Generation an der kommenden Aktion teilnehmen, damit nicht das nächste Fluchthorn in sich zusammenbricht.

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