Von Rückblicken und Ausblicken ins obere Inntal

Im Augenblick sein und darin geborgen, den Fels fühlen, der sich wärmt in den herbstlichen Strahlen der Sonne. Im lebendigen Spiel mit der Schwerkraft steigend, für die Füße die Tritte und für die Hände die Griffe, 400 Klettermeter, die Autobahn tief unten und mit ihr der Lärm, der hinaufkriecht die Wand und ausfüllt das Tal. Fast vergesse ich das Tosen darunter im Sein des Augenblicks. Dann denke ich während des Kletterns an die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“, die mutig und selbstlos sich kleben auf die Straßen, ohne Gefahr für andere, um auf die ganz große Gefahr aufmerksam zu machen und auf das Fehlverhalten der Masse und der Politik. Kein Tempo 100 ist unter mir zu finden – eine der einfachen Maßnahmen nur, die bremsen würde auf der „highway to hell“ (© Antonio Gutierrez, COP27). Viele Jahre ist es her, seit die Autobahn wurde ins enge Tal gebaut. Teilstück um Teilstück wurde eröffnet – und bei einer der Feiern mit Landeshauptmann und unter dem Segen der Kirche war ich gemeinsam mit der Sekretärin der Katholischen Jugend bei der Eröffnung bei Haiming dabei, als wir hatten den jugendlichen Mut zur Minidemo, mit Transparent und Flugis gegen die Zerstörung der Umwelt aufzutreten, während die Musikkapelle spielte und die Schützen eine Ehrensalve abgaben und die Politiker – damals nur männlich – den Fortschritt durch den Autobahnausbau priesen, träumten wir von einer Umfahrungsstraße abseits der Ortschaften, auf der Autos langsam die Lebensräume umfahren, hatten damals schon selbstgefertigte Pickerl verteilt mit 80/100 als erste Notmaßnahme, auch wenn damals von Klimakatastrophe noch niemand gesprochen und geschrieben hatte und wir kein päpstliches „Laudato Si“-Placet hatten, um uns als Mitglieder der Katholischen Jugend vor dem Bischof zu rechtfertigen. Unter mir mäandert tiefgrün der Fluss neben dem vierspurigen grauen Band der Autobahn, wo von oben die Autos wie Spielzeugautos wirken. Der WWF schrieb kürzlich davon, dass im Inn nur mehr 20 Prozent des ursprünglichen Fischbestandes zu finden sei; zu warm ist das Wasser für die Bachforelle und andere Arten geworden und zu sehr verschmutzt durch die Gifte der Straßen. Ich blicke hinunter auf das Naturjuwel Forchetwald, Zuflucht für gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Die Mopsfledermaus soll dort heimisch sein. Erst vor kurzem hatte eine lokale Bürgerinitiative Erfolg, als ein weiterer Teil des einzigartigen Kieferwaldes für Siedlungs- und Gewerbebau hätte gerodet werden sollen. Die Initiativgruppe konnte dies verhindern. Fakt ist, so kürzlich in einer Zeitung, dass allein in Tirol täglich 0,8 Hektar Land verbaut werden. Nicht kleiner als damals bei der Zweierdemo ist der Wille in mir, das zu schützen, was uns als Kostbarkeit geschenkt wurde. Es ermutigt, in diesem Streben nicht allein zu sein und sich umarmend zu stärken gegen die Zerstörung der Erde.

klaus.heidegger, Gedanken in der Geierwand bei Haiming, 12.11.2022

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