Am Grab von Pier Paolo Pasolini – Impressionen aus Triest und Friaul, Teil 3

Mit großem Respekt lasse ich mich am Grab von Pasolini nieder. Mein Freund – auch ein Pasolini-„Fan“ – kannte bereits diesen Friedhof in der kleinen Stadt Casara delle Delizia in Friaul. Der Friedhof liegt außerhalb der Ortschaft. Es regnet leicht. Das passt zur Stimmung. 2022 wäre Pasolini 100 Jahre alt geworden. Er wurde aber bereits 1975 ermordet. Mit kleinen Kieselsteinen forme ich ein Herz auf der Grabplatte und lege ein paar Rosenblätter rundherum. Was verbinde ich mit Pier Paolo Pasolini, dessen Name schon Poesie ist?  Warum ist er mir wichtig?

Erstens ist es wohl die unbändige Liebe zum Leben, zum vollen Leben, zum authentischen Leben, die in der Vita des italienischen Autors so deutlich wird. Von ihm stammt das Zitat: „Ich liebe das Leben unbändig – verzweifelt – und ich glaube, diese Wildheit, diese Verzweiflung werden mir am Ende zum Verhängnis – wie wird das alles enden, ich weiß es nicht …“ Pasolini hat sich nicht gescheut, seinen Träumen zu folgen, auch wenn dies in der damaligen Gesellschaft nicht gut angekommen ist. Er folgte dem, was er für richtig empfand, und setzte sich demonstrativ davon ab, ein Massenmensch zu sein. Zugleich musste er mit aller Konsequenz den Widerspruch aushalten zwischen dem, was er als persönliche und politische Wirklichkeit erlebte, und dem, wovon er träumte. Auch ich merke: Es wäre manchmal so bequem, die Träume aufzugeben, die Träume nach einem vollen Leben – und in bürgerlicher Sattheit sich das Leben traumlos zu gestalten, sich anzupassen, statt zu träumen. Die Poesie hilft etwas, mit dem Schmerz des Unerfüllten leben zu können.

Zweitens ist es die politische Natur des Poeten und Regisseurs Pasolini. Mit seinem großen Mentor Antonio Gramsci hat er die Erkenntnis gelebt, dass ein Mensch immer politisch denken und handeln müsse. Die politische Reflexion ist oft nervig für jene, die mit dem politisch Denkenden zu tun haben. Auch das erlebe ich. „Kannst du nicht einmal aufhören, immer politisch zu denken …“, wurde mir nicht nur einmal vorgeworfen. Und es stimmt. Ich wache auf mit dem kategorischen Imperativ und er begleitet mich dann in all dem, was ich mache, was ich einkaufe, wie ich reise, welche Entscheidungen ich zu treffen habe. Ich gestehe auch, in vielen Dingen marxistisch zu denken, weil heute noch mehr als zu den Lebenszeiten von Pasolini der Kapitalismus die dramatischen Folgen der Verelendung und der Zerstörung zeitigt. Pasolini hat in seinen Gedichten, Romanen und zuletzt in seinen Filmen aufgezeigt, wie eine Gesellschaft durch Faschismus und Konsumismus in den Abgrund gerät. Die verheerendste Konsequenz des Konsumismus ist heute die Zerstörung des Weltklimas, die in diesen Tagen ihre desaströsen Auswirkungen in den Umweltkatastrophen zeigt. Es wäre manchmal so bequem und würde weniger Einsamkeit bedeuten, sich anzupassen an die Konsumwelt rundherum sei es in der Art des Reisens oder im herrschenden Way-of-Life. Das Schreiben ist ein Werkzeug, um politisch aktiv zu sein.

Drittens ist es die religiöse Natur von Pasolini. In meiner Zeit als Student konnte ich mehrere längere Bildungsveranstaltungen zum Themenbereich der materialistischen Bibellektüre leiten. Es war mein Lieblingsgebiet. Und da verwendete ich meist Ausschnitte vom Jesusfilm „Das Erste Evangelium“ von Pasolini. Es war damals noch eine schwere und eindrucksvolle große 16-mm-Filmrolle, die in einen knarrenden Filmapparat eingelegt werden musste – noch richtiges Kinofeeling eben, auch wenn man nie wusste, ob der Film dann irgendwo riss. Aber ich wusste bereits, wie man dies reparieren konnte. Jedenfalls ist diese Pasolini-Jesus-Verfilmung auch 60 Jahre (!) nach seiner Entstehung ein genialer Lieblingsfilm geblieben. Er zeigt einen hochpolitischen Jesus voller Liebe zum Leben und voller Einsatz für eine Welt, die nicht in Reichtum und Verelendung geteilt ist. In diesen Dimensionen tut sich freilich auch eine kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche auf, wenn sie und insofern sie nicht den Kriterien des politisch-revolutionären Jesus und seiner Optionen entspricht. Es wäre so viel einfacher, weniger zu denken, weniger kritisch zu sein, das Gegebene einfach als unveränderlich Vorgegebenes anzunehmen und nicht ständig die Welt oder die Kirche verbessern zu wollen. Pasolini hat geträumt, war hochpolitisch und hatte Jesus zum Vorbild – so bleibt er mir Vorbild.

Kommentare

  1. Danke für deine Gedanken und Bilder und das Herz aus den kleinen Kieselsteinen. Auch mich begleitet er schon seit Studienzeiten aus den gleichen Gründen. Alles Gute noch auf eurer Reise! Liebe Grüße Wilhelmine

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