
Hosianna!
das Fohlen einer Eselin wird losgebunden
die Panzer bleiben in den Kasernen
die Palmzweige werden gewunken
die nationalistischen Flaggen entfernt
die Kleider werden auf die Straße gelegt
die militärischen Uniformen werden ausgezogen
die Hosianna-Rufe gelten dem Mann auf dem Esel
die Rufe nach Rache und Gewalt verstummen
der gewaltfreie Widerstand hat begonnen
Freund und Feind blicken sich in die Augen
die Hauptstadt ist erfüllt mit revolutionärem Duft
der Geruch von Sprengstoff und Granaten ist verpufft
die Aufständischen erwarten Befreiung
die Eroberer ziehen sich zurück
die messianische Befreiung beginnt
die Eselin und Palmzweige übernehmen die Macht
Hosianna!
Zerfurcht ist der Himmel von den Urlaubsfliegern, zerfurcht mit den weißen Kondensstreifen, die wesentlich zum Treibhauseffekt, zur Erwärmung des Planeten, zu Wüstenbildungen und Extremwetterereignissen beitragen. Im Blau des Himmels sind Kratzer wie Kratzer in menschlicher Haut. Nochmals ziehe ich meine Spuren ins Weiß des Schnees, finde beim ersten Mal noch Pulver im steilen Osthang des Glungezer, steige wie gestern ein zweites und ein drittes Mal auf, entschuldige mich bei dem Birkhuhnpaar, welches von mir erschreckt wird und davonflattert. Ich spüre in mir eine Mischung von Verzweiflung und Einsamkeit, wenn ich an die Zerstörung des Planeten denke, und zugleich bin ich dankbar für das sanfte Erleben beim Skitourengehen. Beim Gehen ist mir manchmal, als könnte ich entfliehen den dystopischen Bildern von einer Welt, die mutwillig zerstört wird. Ich blicke am Gipfel hinüber nach Südtirol, wo wieder ein Wald brennt wegen der klimabedingten Trockenheit des letzten Winters. Und wieder und wieder rollt an diesem Palmsonntagswochenende unten durch die Täler und Ortschaften Tirols der Osterreiseverkehr in den Süden; nach Ostern werden sich die Schlangen stinkender und lärmender Autos wieder Richtung Norden in Bewegung setzen. Der fast leere Linienbus bringt mich zurück nach Innsbruck, vorbei an der verstopften Brennerautobahn, an der verstopften Inntalautobahn und hinein in die verstopften Straßen Innsbrucks. Der Klimawandel wird befeuert – man rennt den eigenen Interessen nach und denkt nicht an die Menschen, die hierzulande in den Tälern und in Orten wohnen, die aufgrund des Durchzugsverkehrs extrem unter dem Lärm leiden, denkt nicht an die Massen in den Ländern des Südens, die von den Folgen der Erderhitzung betroffen sind, denkt nicht an die Kinder und Enkel, denen ein zerstörter Planet übergeben werden wird, denkt zu wenig daran, wie kann ich weniger Teil der Zerstörungsdynamik sein oder vielleicht sogar konstruktiver Sand im destruktiven Getriebe. Dankbar erfüllt von den Schwüngen im Frühlingsschnee, den Weitblicken auf den Bergen, dem Gezwitscher der Vögel und dem satten Grün und blühenden Bäumen und Sträuchern höre ich im Bus sitzend die Weltnachrichten von BBC in meinen Earbuds, höre einmal mehr von der Fortsetzung des Krieges in der Ukraine und neuen Waffenlieferungen, um diesen Krieg in die Länge zu ziehen, von der Hochrüstung, von der Aushebelung des Landminenvertrags, von irrationalen Autokraten, die selbst den roten Knopf eines atomaren Supergaus nicht scheuen würden, von Hunger und Elend in afrikanischen Ländern, vom Artensterben. Mit den Ski am Rucksack radle ich vom Busbahnhof zur Wohnung und könnte mich etwas deplatziert fühlen. In Innsbruck sind die Temperaturen jenseits der 20 Grad und Menschen laufen in T-Shirts und kurzhosig herum und Mädchen stehen bauchnalbelfrei vor den Eisdielen Schlange. Ich spüre in mir das Erleben des „Kar“ dieser Tage und die messianische Hoffnung des Palmsonntags.
(Palmsonntagswochenende 12.4.2025)